Anforderungen systematisch migrieren: Modularisiert, verlinkt & wiederverwendbar

Dieser Artikel wurde geschrieben von unserem Gastautor – Herr Dr.-Ing. Thomas Noack*

Wenn Sie eine große DOORS-Datenbank haben, haben Sie sich sicher schon die Frage gestellt: „Wie bekomme ich die Daten dort raus und in ein moderneres Tool rein?“.

Klar, DOORS Classic ist sich treu geblieben – es wurde als Requirements-Werkzeug konzipiert und ist auch immer ein solches geblieben. Auch die Nutzer*innen hatten in den letzten 20 Jahren genügend Zeit, sich an die tabellenartige Spezifikation mit einer Desktop-Applikation zu gewöhnen. Aber viele unserer Kund*innen denken über die Zukunft nach. Dabei spielen Themen wie Kollaboration in Home-Office-Zeiten, Digitalisierung der Entwicklung oder interoperable Traceability-Ketten zur Produktabsicherung eine große Rolle. Die modernen Requirements-Werkzeuge, wie beispielsweise ERM DOORS Next, adressieren genau diese Themen.

ERM DOORS Next und Modernisierung

Einer unserer Kunden formulierte es einmal sehr treffend: „Der Wechsel von DOORS Classic zu DOORS Next bedeutet nicht nur, die Schreibmaschine zu wechseln“. Eine Einführung moderner Engineering-Werkzeuge bringt immer auch die Chance mit, Prozesse und Abläufe zu modernisieren. Dabei können die bestehenden Daten auch verbessert werden, z.B. indem ehemals monolithische Lastenhefte mit vielen hundert Seiten modularisiert werden. Diese Modularisierung hat einen positiven Einfluss auf die Verlinkbarkeit und auch Wiederverwendbarkeit von Anforderungen. Dies wirkt sich dann natürlich auch auf Vorlagen, Artefakt- und Traceability-Modelle aus. Im Folgenden werden Ihnen die Begriffe Quell- und Zieldatenmodell begegnen. Das Quelldatenmodell beschreibt die „alte Art“ zu arbeiten. Das Zieldatenmodell beschreibt die Arbeitsweise in der „neuen Welt“. 

Kommen wir zurück zu Ihrer Frage: „Wie kann ich meine Anforderungen in ein neues Tool migrieren?“. Die Antwort klingt einfach: Systematisch und automatisiert. So einfach die Antwort klingt, so schwer kann aber leider auch die Umsetzung sein.

Unterschiede zwischen DOORS Classic und DOORS Next

Die Datenmigration ist keine „low hanging fruit“. Beide Tools sehen ähnlich aus – Nutzer*innen mit Erfahrung in DOORS Classic können also sofort mit dem Spezifizieren in ERM DOORS Next loslegen. Bei genauerer Betrachtung finden sich aber erhebliche Unterschiede. Beispiel gefällig? Es folgt ein technischer Exkurs für Tool-Expert*innen. Wenn Sie mehr an der Migrationsmethode interessiert sind, können Sie diesen Abschnitt gern überspringen.

Auf der linken Seite sehen Sie DOORS Classic. Um Überschrifts-, Anforderungsoder aber Informationsobjekte zu unterscheiden, hat es sich als „best practice“ erwiesen, ein selbstdefiniertes Attribut zu benutzen (im Beispiel „Objekttyp“). DOORS Classic ist modulorientiert. Das heißt, dass Attribute für das gesamte Modul definiert werden. Alle Objekte haben dann alle Attribute. Im Beispiel wäre es möglich, dass einer Überschrift eine „Verbindlichkeit“ zugewiesen wird, obwohl dies eigentlich nur für Systemanforderungen gedacht ist.

Hier sehen Sie nun einen ersten fundamentalen Unterschied zwischen beiden Tools. Auf der rechten Seite sehen Sie ERM DOORS Next. ERM DOORS Next ist datenbankorientiert. Attribute werden auf Projekt- bzw. Komponentenebene definiert. Dedizierte Artefakttypen können dann einen jeweils eigenen Satz an Attributen haben. Im Beispiel haben nur Systemanforderungen eine „Verbindlichkeit“. Für die anderen Artefakttypen (Überschrift, Information) ist das Attribut „gesperrt“.

Die Datenbankorientierung von ERM DOORS Next vereinfacht es, monolithische Lastenhefte zu modularisieren. Im obigen Beispiel (rechte Seite) ist der „Anwendungsfall: Gewerbe ummelden“ eine Systemfunktion im Kapitel

„Funktionale Anforderungen“. In der Praxis enthalten solche Kapitel schnell 10, 50 oder noch mehr Unterkapitel – jeweils eines pro Funktion inklusive verfeinernder Anforderungen. Modularisierung monolithischer Lastenhefte bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Funktionen extrahiert und in eigenen Modulen abgelegt werden. Dies erhöht nicht nur die Übersichtlichkeit, sondern hat auch einen positiven Einfluss auf die Verlinkbarkeit und Wiederverwendbarkeit. 

Modularisierung von textuellen Anforderungen kann ein erster Schritt in Richtung modellbasierte Entwicklung sein. Das einfache Beispiel zeigt, dass das bestehende Datenmodell im Zuge der Migration angepasst werden muss, um die neuen Features von ERM DOORS Next optimal auszunutzen. Technisch korrekt sagen wir: Das Quelldatenmodell (DOORS Classic) muss in das Zieldatenmodell (ERM DOORS Next) transformiert werden.

Neben diesen Unterschieden gibt es noch einige weitere, die eine Migration erschweren. Diese Unterschiede gilt es transparent zu machen und im Migrationsvorgehen zu berücksichtigen.

Migrationsvorgehen

Das Wichtigste ist, dass die Migration reibungsarm verläuft und die Daten danach genau den Vorstellungen Ihrer Entwickler*innen entsprechen. Um dies zu erreichen, müssen Sie

  • die Unterschiede beider Tools kennen,
  • ein Zieldatenmodell definieren und
  • eine Migrationsstrategie definieren.

Wir empfehlen die folgende systematische Vorgehensweise:

IST-Analyse

Im ersten Schritt muss eine Bestandsanalyse durchgeführt werden. Dazu ist es nötig, Ihre Spezifikationslandschaft und auch etwaige DXL-Skripte zu kennen und zu verstehen. Für die folgenden Schritte muss eine repräsentative Auswahl getroffen werden, mit welchen Pilotspezifikationen Sie beginnen. Diese Piloten werden zunächst ohne Änderung in ERM DOORS Next importiert.

Workshop

Im ersten Workshop werden anhand Ihrer realen Daten die Unterschiede zwischen DOORS Classic und ERM DOORS Next transparent gemacht.

Die Pilotspezifikationen sind die Grundlage der Diskussion. Im Zieldatenmodell wird die Struktur Ihrer zukünftigen Spezifikationslandschaft beschrieben: Es wird geklärt, welche Dokumenttypen es geben wird und welchen Inhalt diese haben sollen. In der Migrationsstrategie wird der genaue Ablauf der Migration beschrieben: Es wird definiert, wann welche Anforderungen migriert werden. Sowohl das Zieldatenmodell als auch die Migrationsstrategie werden sukzessive in den Workshops (weiter)entwickelt.

Ein weiterer wichtiger Aspekt sind Ihre DXL-Skripte. In ERM DOORS Next gibt es kein DXL mehr. Dafür gehen viele Dinge, für die Sie früher DXL brauchten, heute „out-of-the-box“ (z.B. Testmanagement oder Konfigurationsmanagement). Auch darüber muss in den Workshops diskutiert werden. Natürlich ist es möglich, ERM DOORS Next zu erweitern. Statt DXL wird das modernere JavaScript eingesetzt.

Nachbereitung, Implementierung und Aktualisierung

Zunächst werden die Workshop-Ergebnisse aufbereitet. Anschließend wird das Migrationsvorgehen implementiert. Dies beinhaltet auch die Anpassung der Tool- Unterstützung (DNGmig). Entsprechend werden die Pilotspezifikationen erneut migriert, so dass ein neuer Workshop mit aktuellen Daten stattfinden kann. Dieses iterative Vorgehen wird so lange wiederholt, bis Migrationsstrategie und Zieldatenmodell reif genug für den Start der Migration sind.

(Teil)Automatisierte Migration

Die Transformation eines Quell- in ein Zieldatenmodell ist schon für einzelne Spezifikationsdokumente komplex und aufwändig. Stellen Sie sich nun vor, Sie wollen große Teile Ihrer Spezifikaitonslandschaft migrieren. Schnell kommen 50, 100 oder sogar noch mehr DOORS Classic Module zusammen. Tool-Support unterstützt hier, genauer und schneller zu sein. Wir setzen DNGmig für die Migration ein. DNGmig basiert auf einem klassischen ETL-Prozess (Extahieren, Transformieren, Laden):

Extrahieren

ReqIF-Dateien werden aus DOORS Classic extrahiert. DNGmig unterstützt sowohl Standard-ReqIF als auch migiz (basiert auf ReqIF). Die Transformation findet außerhalb von DOORS Classic in der ReqIF-Datei statt. Der Vorteil daran ist, dass Ihre Daten in der DOORS Classic Datenbank nicht verändert werden müssen.

Transformieren

Die ReqIF-Dateien werden mithilfe sogenannter Migrationskommandos transformiert. DNGmig kann um kundenspezifische Migrationskommandos erweitert werden. DNGmig ist Freeware.

Laden

Die transformierte ReqIF-Datei wird schließlich in ERM DOORS Next importiert. In der Regel müssen die Daten nicht nachbereitet werden.

Komplexität der Migration meistern

Die Migration von DOORS Classic nach ERM DOORS Next ist keine „low hanging fruit“. Eine systematische und tool-gestützte Vorgehensweise unterstützt Sie bei der erfolgreichen Durchführung Ihres Migrationsvorhabens. Der Aufwand lohnt, denn die moderne Arbeitswelt erfordert moderne Tools.


*Informationen über den Autor – Herr Dr.-Ing. Thomas Noack

Thomas ist ausgebildeter Informatiker und promovierter System-Ingenieur. Seine Spezialgebiete sind Requirements- und Test Engineering sowie Traceability für Automotive, Medical und Defence.Seit ungefähr 10 Jahren beschäftigt er sich mit Engineering-Werkzeugen von IBM. In den letzten 2 Jahren vertiefte er sich in Automotive SPICE. In seiner Freizeit spielt Thomas Bassgitarre.