Covid-19 und die Auswirkungen auf das IT Service Management

Die Krise, die durch die Covid-19-Pandemie ausgelöst wurde, ist beispiellos in unserer jüngeren Geschichte. Ihre Auswirkungen werden auf Jahre zu spüren sein und sie wird viele Dinge für immer ändern. Sie treibt die Technologisierung voran und wird Unternehmen und Branchen nachhaltig ändern.1 (Vgl. Schwab/Malleret (2020), S. 11 f.) „Nichts wird jemals wieder so sein wie zuvor. Die Normalität in dem Sinne, wie wir sie kannten, ist zu Bruch gegangen und die Coronavirus-Pandemie stellt einen grundlegenden Wendepunkt auf unserem globalen Kurs dar. […] Die Welt wie wir sie in den ersten Monaten des Jahres 2020 kannten, gibt es nicht mehr, sie hat sich im Kontext der Pandemie aufgelöst.“2 (Schwab/Malleret (2020), S. 12) Diese Worte von Klaus Schwab, dem Gründer und geschäftsführenden Vorsitzenden des Weltwirtschaftsforums, machen deutlich, welche Folgen die Covid-19-Pandemie hat. Sie betrifft die Wirtschaft, Gesellschaft, Geopolitik, Umwelt und die Technologie. Im Folgenden sollen die Auswirkungen auf das IT Service Management (ITSM) im Speziellen betrachtet werden.

Technologischer Umbruch durch Covid-19

Die vierte industrielle Revolution hat in den letzten Jahren zu weitreichenden Veränderungen geführt. Künstliche Intelligenz, Spracherkennungssoftware, virtuelle Assistenten, Übersetzungssoftware und Smartphones sind für uns zur Selbstverständlichkeit geworden. Hinzu kommen Automatisierung und Roboter, welche die Arbeitsweise, Geschwindigkeit und Rentabilität von Unternehmen nachhaltig ändern. Der in der Corona-Krise eingeführte Lockdown hat zu einer Ausweitung und Fortentwicklung der digitalen Welt geführt, welche mit tiefgreifenden Veränderungen in der Arbeitsweise von Unternehmen einherging. Im April 2020 und den Folgemonaten zeigte sich, dass Unternehmen Technologien im Zeitraffer einsetzten, deren Einführung unter normalen Bedingungen mehrere Jahre gebraucht hätte. Es ist davon auszugehen, dass diese Entwicklung einen signifikanten und dauerhaften Effekt auf die Online-Arbeit, Online-Bildung, Online-Shopping, Online-Medizin und Online-Unterhaltung haben wird, wie Sundar Pichai, CEO von Google prognostizierte.3 (Vgl. Schwab/Malleret (2020), S. 177 ff.)

Klaus Schwab formuliert, dass sich aufgrund der Gewöhnung an technische Verhaltensweisen und dem Bestehenbleiben von Social und Physical Distancing „die Abhängigkeit von digitalen Plattformen für Kommunikation, Arbeit, Beratung oder Bestellungen nach und nach gegenüber früheren Gewohnheiten durchsetzen wird.4 (Schwab/Malleret (2020), S. 181) Die Pandemie führt zu einer beschleunigten Einführung der Automatisierung am Arbeitsplatz. Im Rahmen der robotergestützten Prozessautomatisierung (Robotic Process Automation, RPA) wird Unternehmen mit Hilfe von Software ermöglicht, den Zeitaufwand für die Zusammenstellung und Validierung von Daten zu verringern und Kosten zu sparen. Studien gehen davon aus, dass sich die Zahl der Unternehmen, die eine Automatisierung ihrer Geschäftsprozesse in der Praxis umsetzen, auch aufgrund der Pandemie in den nächsten zwei Jahren verdoppeln könnte.5 (Vgl. Schwab/Malleret (2020), S. 185 f.) Eine Rückkehr zum „Business as usual“, wie es vor der Pandemie bekannt war, wird es nicht geben. Für Unternehmen besteht die Herausforderung darin, in dieser neuen Normalität erfolgreich zu bestehen, diese als Chance zu betrachten und die Organisation zu überdenken, um positive, nachhaltige und dauerhafte Veränderungen zu etablieren.6 (Vgl. Schwab/Malleret (2020), S. 203 f.) Die beweglichsten und flexibelsten Unternehmen werden gestärkt aus der derzeitigen Situation hervorgehen.7 (Vgl. Schwab/Malleret (2020), S. 206)

Veränderungen der Arbeitsweise durch Corona

Während der Covid-19-Pandemie haben sich die Arbeitsmethoden, Arbeitstechniken und der Arbeitsplatz grundlegend geändert. Das Homeoffice ist zur Normalität geworden. Die Nachfrage nach digitalen Plattformen zur Zusammenarbeit stieg sprunghaft, was modernste Technik, eine intakte Infrastruktur, hohe Bandbreiten, Performance und Supportkonzepte erforderlich machten. Zusätzlich stehen Unternehmen vor der Herausforderung, sich kontinuierlich an ein sich wandelndes Umfeld anzupassen, um innovationsfähig zu bleiben. Damit einher geht ein Kulturwandel hin zu einem zeitlich flexiblen Arbeiten in Organisationen, wie der öffentlichen Verwaltung. Der Arbeitsplatz der Zukunft wird ein Mobiler sein. Veränderungen in der Führungsverantwortung (Führen über Distanz), mehr Vertrauen den Beschäftigten gegenüber und Selbstmanagement der Angestellten werden im Zuge dessen immer wichtiger.8 (Vgl. Collet (2021), S. 8 f.)

ITSM als wichtigstes strategisches IT-Thema

ITSM ist das derzeit wichtigste strategische IT-Thema. Durch die Corona-Krise hat eine Verlagerung der Arbeitswelt von einer zentralen Unternehmens-IT-Struktur ins dezentrale Home- und Mobile-Office stattgefunden. Dies führt dazu, dass den Mitarbeitenden, IT-Prozesse verständlicher und einfacher werden müssen und Investitionen in die IT-Infrastruktur und die IT-Ausstattung im Homeoffice nötig sind.9 (Vgl. Mauerer (2021), S. 3 ff.) Kunden10 (Mit ”Kunde” sind in diesem Beitrag keine privaten Personen, sondern rechtliche Personen bzw. Unternehmen gemeint) überdenken zwar seit Beginn der Coronakrise geplante Investitionen, auf bestehende Service-Management-Projekte hat das Virus aber keinen Einfluss. Dies ist besonders dort der Fall, wo Prozesse auf individuelle Kundenbedürfnisse angepasst worden sind.11 (Vgl. Computerwoche (2021)

Die aktuelle Situation zeigt, wie Unternehmen in Bezug auf ITSM aufgestellt sind und kann als Stresstest bezeichnet werden. Aus einer Studie, die von der COMPUTERWOCHE, CIO, TecChannel und ChannelPartner herausgegeben wurde und bei der 531 Unternehmen befragt wurden, geht hervor, dass aufgrund von Covid-19 75 Prozent der befragten Unternehmen ihre Prozesse in Zukunft optimieren müssen. Aufgrund geänderter Arbeitszeiten müssen IT-Service-Zeiten angepasst oder Self-Service-Möglichkeiten verbessert werden. Ebenfalls mussten 75 Prozent der Unternehmen aufgrund von Covid-19 in ihre IT-Infrastruktur oder in die IT-Ausstattung ihrer Mitarbeiter im Homeoffice investieren. Innerhalb weniger Monate konnten Digitalisierungsprojekte umgesetzt werden, für die sonst Jahre ins Land gegangen wären. ITSM ist damit zum strategisch wichtigsten IT-Thema geworden, gefolgt von den Themen IT-Sicherheit und digitalen Geschäftsprozessen. Die IT-Abteilungen müssen sich in den kommenden  Jahren mit diesem Thema auseinandersetzen. Hierbei stehen besonders mittelständische Unternehmen mit 500 bis 999 Mitarbeitern im Vordergrund. Es wird vor allem auf das C-Level-Management und IT-Leiter ankommen, die diesen Trend erkennen müssen, wie Umfragen belegen.12 (Vgl. Mauerer (2021), S. 9 f.)

Investitionen in ITSM und ESM während Corona

20,7 Prozent der befragten Unternehmen werden ihre IT-Budgets nur aufgrund der Auswirkungen der Covid-19-Pandemie erhöhen. Bei einem Drittel der befragten Unternehmen sorgt die Pandemie für eine noch stärkere Budgeterhöhung, als es ohne Pandemie zu erwarten gewesen wäre.13 (Vgl. Mauerer (2021), S. 41) 80 Prozent der Unternehmen halten ihr ITSM-Budget für ausreichend oder eher ausreichend dimensioniert. Beim Thema Enterprise Service Management (ESM) sagen 77 Prozent der Unternehmen, dass sie über ausreichend oder eher ausreichend Geld für die Standardisierung und Automatisierung von Non-IT-Prozessen verfügen. Sowohl das ITSM- als auch das ESM-Budget wurde bei der Hälfte der Unternehmen während Corona deutlich erhöht. Bei einem Drittel der Firmen blieb das Budget für beide Bereiche in etwa gleich, während zwölf Prozent der Unternehmen das Budget für beide Bereiche kürzen mussten. Drei Prozent der Unternehmen haben weder für ITSM noch für ESM ein Budget eingeplant. Hauptsächlich wird das Budget für die Themen IT Infrastructure Library (ITIL) oder einen Ersatz für ITIL und Cloud Service Management verwendet.14 (Vgl. Mauerer (2021), S. 20 f.) In Bezug auf ESM haben 48 Prozent der Unternehmen ihr Budget zwar deutlich erhöht, allerdings investieren nur 15 Prozent der Unternehmen tatsächlich in ESM-Themen und halten ihr Geld für die Übertragung von ITSM-Prinzipien auf Services in anderen Fachbereichen eher zurück. Hier herrscht Nachholpotenzial, zumal nur 14 Prozent der Unternehmen ESM als strategisches Thema für die IT ansehen.15 (Vgl. Mauerer (2021), S. 38) Eine wichtige Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Employee Experience (EX, Mitarbeitenden-Erlebnis). Dadurch, dass viele Mitarbeitende von Zuhause arbeiten, befinden sie sich nicht mehr in der gewohnten Büroumgebung. Viele Unternehmen stehen vor dem Problem, ihren Mitarbeitenden trotz dieser Situation ein Mitarbeitenden-Erlebnis zu ermöglichen. Die Lösung hierfür ist die Einführung von ESM. Hierüber kann die Zusammenarbeit von IT, Facility und HR koordiniert werden. Vereinbarungen, die Verarbeitung von Anfragen oder die Errichtung eines geteilten Servicedesks, der als Erstkontaktpunkt für das gesamte Unternehmen dient, können über ESM abgebildet werden.16 (Vgl. Steenhuis (2021), S. 17)

Reifegrad der IT

82 Prozent der Unternehmen rechnen mit einer Beschleunigung des digitalen Wandels aufgrund der Pandemie.17 (Vgl. Mauerer (2021), S. 40) Sie wirkt als Stresstest und legt IT-Lücken offen. Digitale Leistungen müssen schneller angeboten und an neue Markt- und Kundensituationen angepasst werden. Die meisten Unternehmen sehen sich für diese Aufgabe gerüstet. 16 Prozent der Unternehmen sprechen in Bezug auf ihre IT von einem sehr hohen, 55 Prozent von einem hohen oder eher hohen Reifegrad. Acht Prozent der befragten Unternehmen sehen Ihre IT kaum für die neuen Herausforderungen gerüstet. In Bezug auf den Reifegrad der Automatisierung von Business- und IT-Prozessen sind die Werte vergleichbar.18 (Vgl. Mauerer (2021), S. 24)

Meldewege im ITSM während Corona

Trotz Corona bleibt die klassische E-Mail der wichtigste Meldeweg im ITSM und ESM. Das Telefon hingegen gewinnt jedoch wieder an Bedeutung, wenn es um die Meldung von Problemen oder die Bestellung von IT-Services geht, wie aus der oben genannten Studie hervorgeht. Self-Service-Portale, Chats und KI-basierte Chatbots verzeichnen zudem starke Zuwachsraten. So hat sich der Anteil von KI-basierten Chatbots mehr als verdoppelt. Die Nutzung von Collaboration Tools, wie Teams, Zoom oder Slack –  bei der Kommunikation im Service Management hat sich aufgrund von Corona mehr als verdreifacht.19 (Vgl. Mauerer (2021), S. 35)

Zunehmende digitale Kluft

Die aktuelle Studie „CIO-Agenda 2021“ von IDG Research Services / CIO-Magazin und WHU – Otto Beisheim School of Management zeigt eine Divergenz in Bezug auf die Bereitschaft in die digitale Zukunft zu investieren. Zwar haben Unternehmen im Jahr 2020 in digitale Architekturen, Tools und Prozesse investiert, die sogenannten digitalen Mitläufer und Nachzügler geraten jedoch im Vergleich zu den digitalen Vorreitern ins Hintertreffen, wie die Ergebnisse einer Befragung von 276 IT-Entscheidenden aus DACH-Unternehmen zeigen. So gaben 26 Prozent der befragten Unternehmen an, dass ihr Unternehmen Schwierigkeiten habe, auf neue digitale Initiativen von Wettbewerbern zu reagieren, nicht in der Lage sei, digitale Antworten zu finden oder keine Relevanz der Digitalisierung für ihre eigene Branche sehe. Eine klare digitale Vision ist bei den digitalen Mitläufern und Nachzüglern eher selten. Während sich digitale Vorreiter auf die Nutzung von Strukturen und Prozessen zur Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle verlassen, nutzen nur eine Minderheit der digitalen Mitläufer und Nachzügler diese Strukturen und Prozesse intensiv. Auch bei der Zusammenarbeit mit externen Partnern und Wettbewerbern für die Digitalisierung geraten sie im Vergleich ins Hintertreffen. In der genannten Studie zeigte sich, dass fehlende Kompetenz, technologische Altlasten und eine mangelnde interne Bereitschaft zur Veränderung die wichtigsten hemmenden Faktoren bei der Digitalisierung sind. 59 Prozent der digitalen Vorreiter planen ihr IT-Budget in den nächsten Jahren deutlich zu erhöhen. Bei den digitalen Mitläufern sind es lediglich 17 Prozent und bei den digitalen Nachzüglern 19 Prozent. Die durch die Coronavirus-Pandemie ausgelöste Bereitschaft für größere IT-Investitionen bei digitalen Vorreitern führt also statt einer Konvergenz zu einer zunehmenden Kluft im Vergleich zu digitalen Mitläufern und Nachzüglern.20 (Vgl. Faems (2021), S. 43 f.)

Quellen und Literaturverzeichnis:

Collet, Markus (2021): Öffentliche Verwaltung: Vom Wasserfall in den digitalen Strudel, in: it Service Management, Fachzeitschrift für die ITSM-Community, Nr. 54, „Auswirkungen von Covid-19 auf IT Service Management“, Februar 2021, S. 6-9

Computerwoche (2021): Expertenstimmen zu ITSM in Coronazeiten, URL:https://www.computerwoche.de/g/expertenstimmen-zu-itsm-in-coronazeiten,117419,2, zugegriffen: 09.04.2021

Faems, Dries (2021): Die digitale Kluft wird größer, in: IDG Research Services, Studie IT Service Management 2021, Hrsg: IDG Business Media GmbH, S. 43-44, München

Mauerer, Jürgen (2021): IDG Research Services, Studie IT Service Management 2021, Hrsg: IDG Business Media GmbH, München

Schwab, Klaus/Malleret, Thierry (2020): Covid-19: Der große Umbruch, 1. Auflage, Cologny/Genf

Steenhuis, Niek (2021): ITSM-Trends: Die Top 5 Service Management-Trends 2021, in: it Service Management, Fachzeitschrift für die ITSM-Community, Nr. 54, „Auswirkungen von Covid-19 auf IT Service Management“, Februar 2021, S. 16-19

[1] Vgl. Schwab/Malleret (2020), S. 11 f.

[2] Schwab/Malleret (2020), S. 12

[3] Vgl. Schwab/Malleret (2020), S. 177 ff.

[4] Schwab/Malleret (2020), S. 181

[5] Vgl. Schwab/Malleret (2020), S. 185 f.

[6] Vgl. Schwab/Malleret (2020), S. 203 f.

[7] Vgl. Schwab/Malleret (2020), S. 206

[8] Vgl. Collet (2021), S. 8 f.

[9] Vgl. Mauerer (2021), S. 3 ff.

[10] Mit ”Kunde” sind in diesem Beitrag keine privaten Personen, sondern rechtliche Personen bzw. Unternehmen gemeint.

[11] Vgl. Computerwoche (2021)

[12] Vgl. Mauerer (2021), S. 9 f.

[13] Vgl. Mauerer (2021), S. 41

[14] Vgl. Mauerer (2021), S. 20 f.

[15] Vgl. Mauerer (2021), S. 38

[16] Vgl. Steenhuis (2021), S. 17

[17] Vgl. Mauerer (2021), S. 40

[18] Vgl. Mauerer (2021), S. 24

[19] Vgl. Mauerer (2021), S. 35

[20] Vgl. Faems (2021), S. 43 f.