Design Thinking und was sich hieraus für die Arbeitsweise im IT-Service-Management ableiten lässt

In der Softwareentwicklung gehören agile Methoden wie Design Thinking bereits zum Standard. IT-Service-Management (ITSM) wird mit diesem Thema hingegen selten in Verbindung gebracht.[1] Was ITSM von Design Thinking lernen kann und welchen Einfluss die Information Technology Infrastructure Library (ITIL) 4 auf die Weiterentwicklung von ITSM in Bezug auf Design Thinking nimmt, soll im Folgenden erläutert werden.

Was ist Design Thinking?

Design Thinking ist eine Kombination aus Verstehen, Beobachtung, Standpunktdefinition, Ideenfindung, Prototypentwicklung und Testen, bei der gleichzeitig die Umsetzbarkeit und Wirtschaftlichkeit der Innovation untersucht wird.[2] Es vereint die Kernaspekte „Nutzen für den Menschen“, „technologische Umsetzbarkeit“ und „wirtschaftliche Marktfähigkeit“, mit dem Zweck, eine Innovation entstehen zu lassen, die ein Problem löst.[3] Diese Methode lässt sich auf das ITSM übertragen.

ITSM kann also von Design Thinking profitieren, wenn die darin beschriebene Methodik angewendet wird. Den Ursprung hat Design Thinking in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts und wurde in den letzten Jahren und Jahrzehnten weiterentwickelt.[4] Design Thinking dient dazu, im ITSM[5]– besonders durch den Fokus auf Kundenorientierung überzeugen[6]. Die Kundenorientierung steht dabei im Vordergrund. Thinking soll die Brücke zum Kunden geschlagen werden, um herauszufinden, ob eine Idee, wie zum Beispiel der Aufbau eines Servicekatalogs, wirklich die Antwort auf die Bedürfnisse und Anforderungen des Kunden darstellt.

Wichtig ist es, durch die Brille des Nutzers auf ein Problem zu schauen und sich in die Rolle des Anwenders zu begeben.[7]

Die Aufgabe von Design Thinking ist es, Alltagsprobleme zu lösen und schnelle komfortable Lösungen zu entwickeln, die alle am Prozess beteiligten Menschen integriert.[8] 

IT-Abteilungen sind heute darauf ausgerichtet, Anforderungen bestehender Geschäftsprozesse zu verstehen und diese mit Ihren Leistungen zu unterstützen. Der Fokus dieser Leistungen liegt auf Wirtschaftlichkeit und Zuverlässigkeit. Im Zuge der Digitalisierung ändert sich jedoch die Erwartungshaltung des Business an die IT, welche zu einem zentralen Unternehmensprozess wird. Immer mehr Geschäftsmodelle sind zunehmend abhängig von IT-Prozessen. Es ist nicht mehr ausreichend, Anforderungen umzusetzen, da die IT sich zu einem Innovationsmotor im Unternehmen entwickelt und Geschäftsmodelle maßgeblich mitgestaltet. Daher müssen Innovationen gefördert und institutionalisiert werden.[9] Design Thinking kann ITSM dabei helfen, diesen neuen Anforderungen gerecht zu werden. Gleichzeitig wird diese Methode weltweit von führenden Unternehmen angewendet, die an innovativen Produkten arbeiten.

Durch welche Methoden des Design Thinking lässt sich die Arbeitsweise im ITSM ergänzen?

Menschen, die im ITSM arbeiten, sollen unter Anwendung von Design Thinking in einem – die Kreativität fördernden Umfeld zusammenarbeiten. Hierbei sollen die Bedürfnisse und Motivationen der Kunden berücksichtigt und Konzepte entwickelt werden, die einer iterativen Überprüfung unterliegen.[10] Dieser Prozess wird weiter unten genauer beschrieben.

Neue Produkte werden üblicherweise von der Entwicklungsabteilung vorangetrieben, von wo sie in die Produktion wandern. Im Anschluss ist in herkömmlichen Abläufen das Marketing dafür zuständig, sich für das entwickelte Produkt Vermarktungsstrategien zu überlegen. Der Vertrieb bemerkt unter Umständen erst im Anschluss, dass das Produkt die Kundenbedürfnisse nicht komplett erfüllt. Design Thinking geht davon aus, dass sich eine Innovation nur dann durchsetzt, wenn die oben genannten Faktoren Mensch, Technologie und Wirtschaft eine Schnittmenge bilden.[11]  Hieraus leitet sich ab, dass bei ITSM-Projekten nicht nur ein Fokus auf die Technologie gelegt werden sollte oder lediglich wirtschaftliche Aspekte bei der Entwicklung einer Lösung eine Rolle spielen sollten. Viel wichtiger ist es, um nach dieser Entwicklungsmethode vorzugehen, schon zu Beginn eines Projekts den Faktor Mensch zu betrachten und sich die Frage zu stellen, welche Bedürfnisse dieser hat. Abgeleitet von diesen Bedürfnissen sollten erst dann technologische und wirtschaftliche Aspekte abgeleitet werden.

Entwicklungen und Innovationen werden im ITSM häufig von Expertenteams vorangetrieben. Dies beinhaltet die Gefahr, dass Lösungen für Probleme entwickelt werden, die nicht komplett durchdrungen wurden und nicht die Bedürfnisse des Kunden erfüllen. [12]

Design Thinking bedient sich einer systematischen Herangehensweise an komplexe Problemstellungen. Wo in der Praxis Aufgaben häufig von der technischen Lösbakeit angegangen werden, stehen beim Design Thinking Nutzerwünsche, Nutzerbedürfnisse und nutzerorientiertes Erfinden im Vordergrund.  Zentrales Element ist eine stetige Rückkopplung zwischen dem Entwickler der Lösung und der Zielgruppe. Im Entwicklungsprozess werden dem Endnutzer Fragen gestellt und Abläufe sowie Verhaltensweisen analysiert. Außerdem werden möglichst früh Produkttypen erstellt, damit Anwender noch vor der Fertigstellung oder Markteinführung ein Feedback abgeben können. Ziel ist es, praxisnahe Ergebnisse zu erzeugen.[13]

Von welchen Erfolgsfaktoren des Design Thinking kann das ITSM profitieren?

Der Erfolg des Design Thinking wird durch eine gemeinschaftliche Arbeits- und Denkkultur bestimmt, die auf den drei Elementen „multidisziplinäre Teams“, „variablen Räumen“ und dem „Design-Thinking-Prozess“ beruht.

Multidisziplinäre Teams

Um Innovationen und Antworten auf komplexe Fragestellungen zu erzielen, sollten heterogene ITSM-Teams aus fünf bis sechs Personen gebildet werden. Die teilnehmenden Personen sollten unterschiedlichen fachlichen Hintergründen und Funktionen angehören, um auf unterschiedliche Skills und Expertisen während des Design Thinking Prozesses zurückgreifen zu können. Außerdem sind Neugier und Offenheit für andere Perspektiven ein Fundament des Design Thinking. Die Teams sollten immer auf anfassbare und konkrete Ergebnisse hinarbeiten, um einen hohen Lerneffekt zu erzeugen. Die unterschiedlichen Teams sollten darüber hinaus in einem regelmäßigen Austausch stehen.[14]

Variable Räume

Zu den optimalen räumlichen Gegebenheiten im Kreativprozess gehören flexible bewegbare Möbel, Platz für Whiteboards, Präsentationsflächen und Materialien zur prototypischen Gestaltung von Ideen. Steharbeitsplätze für bis zu sechs Personen und die Möglichkeit zum Austausch mit anderen Teams sollten ebenfalls vorhanden sein.[15]

Design Thinking Prozess

Der Design Thinking Prozess ist an den Arbeitsprozess von Designern angelehnt. Start und Ende sind charakteristisch. Begonnen wird im „Beginners Mind“, also der Vorstellung, dass man nichts weiß. Der Prozess endet, wenn eine Idee materialisiert und konkret implementiert ist.[16] Übertragen auf die Erstellung eines Servicekatalogs bedeutet dies, dass bisherige Erfahrungen bei der Erstellung eines solchen Katalogs zunächst keine übergeordnete Rolle spielen dürfen.

Teams werden hierbei in iterativen Schleifen, die in der untenstehenden Abbildung zu sehen sind, durch sechs Phasen geführt.[17] Die Phasen teilen sich auf in:

  1. Verstehen
  2. Beobachten
  3. Sichtweise definieren
  4. Ideen finden
  5. Prototypen entwickeln
  6. Testen

Iterationsschleifen helfen den Fortbestand der Entwicklung auf einem hohen Qualitätslevel zu halten. Die genannten sechs Phasen werden nacheinander durchlaufen. Wird während der Bearbeitung festgestellt, dass das Ergebnis einem angestrebten Ziel noch nicht entspricht, also der Aufbau eines zu erstellenden Servicekatalogs für den Kunden beispielsweise nicht seinen Ansprüchen entspricht, geht man zurück und arbeitet die neuen Ergebnisse und Erkenntnisse in den weiteren Prozess mit ein.[18] Dieser iterative Ansatz zur Einarbeitung der Kundenvorstellungen zeigt deutlich, dass der Nutzer und seine Bedürfnisse im Zentrum der Betrachtung stehen.[19]

Auf eine detaillierte Beschreibung der einzelnen Phasen wird an dieser Stelle verzichtet.

Abb. 1: Quelle: Design Thinking Prozess: Hasso-Plattner-Institut für Digital Engineering gGmbH, Berlin

Welche Vorteile hat die Nutzung von Design Thinking für ITSM?

Die Phasen eins bis drei kennzeichnen die Problemanalyse. Die Phasen vier bis sechs zeichnen sich hingegen durch eine Lösungsentwicklung aus. Aus ITIL ist bekannt, dass sich das Problem Management in die Bereiche „Fehlervermeidung“ und „Analyse und Beseitigung unbekannter Fehlerursachen“ unterteilen lässt. Die oben genannte Struktur ist dem ITSM also bereits bekannt. Die Problemanalyse findet im „Problem Control“ statt, die Lösungsentwicklung ist Teil des „Error Control“. Das Problemmanagement hat oftmals Schwierigkeiten bei der Umsetzung, was einerseits an einer unzureichenden Analyse und andererseits an einem zu starken Fokus auf technische Fragestellungen liegt, bei dem die Bedürfnisse der Anwender zu wenig Beachtung finden. Die Anwendung von Design Thinking kann diese Schwierigkeiten durch die oben beschriebene Methodik beheben. Dies geschieht jedoch nicht automatisch. Strukturierte Abläufe und einfache Regeln helfen jedoch, die Gedanken zu ordnen und die Aufmerksamkeit auf die Service-Innovation zu lenken. Das im Design Thinking angewandte Prinzip „Scheitere früh und häufig“ bedeutet für das ITSM ein Umdenken in der Fehlerkultur. In den letzten Jahren war es die Hauptaufgabe von ITSM, einen zuverlässigen und wirtschaftlichen Betrieb zu gewährleisten. Hierdurch waren Veränderungszyklen oftmals sehr lang. Eine hohe Geschwindigkeit bei der Anforderungsumsetzung und die Entwicklung neuer Innovationen werden immer bedeutender. Design Thinking kann hier als Methode angewendet werden, um diesen Ansprüchen in Zukunft gerecht zu werden.[20]

Das Ziel von Design Thinking ist es, bei Produkt- oder Softwareentwicklungen und Lösungen den Kunden früher zu integrieren. Mit Hilfe von Design Thinking kann daher die „Time to market“ verkürzt werden. Die Dynamik im Entwicklungsprozess wird erhöht und ein Silodenken in Organisationen wird vermindert. Außerdem wird die Auseinandersetzung mit Schnittstellen und heterogenen Bedürfnissen gefördert. Die Überführung von Produktkonzepten und deren Implementierung in folgende Prozesse wird vereinfacht. Die Bedürfnisse des Kunden werden von allen Projektteilnehmern nachvollziehbar.[21]

Design Thinking könnte es schaffen, mehr Nähe zwischen der IT und den Nutzern zu erzeugen, indem zum Beispiel bei der Erstellung eines Servicekataloges nicht nur bestehende IT-Leistungen gesammelt werden, sondern eine ausführliche Analyse der Probleme, Wünsche und Bedürfnisse der späteren Nutzer durchgeführt wird. Die sich daraus ergebenen Services könnten anschließend nach Bedarf kontinuierlich angepasst und weiterentwickelt werden, sodass ein nicht statischer, sondern dynamischer Servicekatalog entsteht.[22]

ITSM und ITIL 4 – Ausbau agiler Methoden im agile Service Design

Wie anfangs beschrieben, ist die Nutzung von Design Thinking im ITSM heute eher selten. Welchen Einfluss ITIL 4 auf die Arbeitsweise im ITSM in Bezug auf agile Methoden, wie Design Thinking, hat, soll im Folgenden beschrieben werden:[23]

ITIL ist ein Best-Practice-Leitfaden im ITSM und hilft bei der Organisation aller ITSM-Aktivitäten. Es handelt sich um ein Standard-Rahmenwerk, das Einzug in viele Unternehmen und IT-Organisationen gefunden hat. In der neusten Version von ITIL (4) werden erstmals agile Ansätze für das ITSM beschrieben und die Wertschöpfung rückt in den Mittelpunkt. Zentraler Bestandteil ist aus den Anforderungen des Marktes oder des Kunden einen Mehrwert zu schaffen. Dieses Prinzip ist aus der agilen Welt bekannt und wurde in ITIL integriert.

Projekte lassen sich in einfach, kompliziert, komplex und chaotisch unterteilen. Agile Methoden werden bei komplexen Projekten verwendet. Einfache oder komplexe Projekte bleiben also von einer Umstellung auf die agile Arbeitsweise unberührt. Somit findet Design Thinking lediglich bei komplexen oder chaotischen Projekten Anwendung und nur dort, wo ein Mehrwert generiert werden kann. So wäre im Bereich Incident Management ein defekter Drucker ein Beispiel für ein einfaches „Projekt“, da das Problem und die Vorgehensweise, um das Problem zu lösen, bekannt sind. Methoden wie Design Thinking finden hier also keine Anwendung. Als Beispiel für ein komplexes Projekt kann die Einrichtung eines Single-Sign-On (SSO) für mehrere Applikationen genannt werden, da womöglich nicht alle Applikationen zu Beginn vollständig bekannt sind, wodurch die Vorgehensweise zu Beginn nicht festgelegt werden kann. In einem solchen Projekt wäre der Einsatz von Design Thinking möglich.

Unterschiedliche Typen von Changes, wie Standard-Changes, normale Changes oder komplexe Changes, müssen unterschiedlich behandelt werden. Bei der Umsetzung von komplexen Changes wäre die Anwendung von Design Thinking ebenfalls möglich. Hierbei werden alle Beteiligten in die Implementierung einbezogen und die Lösung schrittweise nach dem oben beschriebenen Vorgehensmodell erarbeitet.

Das Service Value System beschreibt innerhalb von ITIL 4, wie alle Komponenten und Aktivitäten der Organisation als System zusammenarbeiten, um die Wertschöpfung zu ermöglichen. Darin enthalten ist die Phase „Design & Transition“, in der Design Thinking als Methode angewendet werden kann. Das genaue Vorgehen wurde bereits oben ausführlich erläutert.

[1] Vgl. Falke (2020)

[2] Vgl. Muller-Roterberg (2020)

[3] Vgl. HPI-Academy (2021)

[4] Vgl. Blenski (2021)

[5] Mit “Anwender” und ”Kunde” sind in diesem Beitrag keine privaten Personen, sondern rechtliche Personen bzw. Unternehmen gemeint. 

[6] Vgl. Hilbert/Kempkens (2013)

[7] Vgl. HPI-Academy (2021)

[8] Vgl. Blenski (2021)

[9] Vgl. Beims (2021)

[10] Vgl. M. I. T. World (2006)

[11] Vgl. Stahl (2021)

[12] Vgl. Stahl (2021)

[13] Vgl. HPI-Academy (2021)

[14] Vgl. HPI-Academy (2021)

[15] Vgl. HPI-Academy (2021)

[16] Vgl. Diehl (2021)

[17] Vgl. HPI-Academy (2021)

[18] Vgl. Blenski (2021)

[19] Vgl. Diehl (2021)

[20] Vgl. Beims (2021)

[21] Vgl. Blenski (2021)

[22] Vgl. Beims (2021)

[23] Vgl. Falke (2020)