Hyperautomation – Ein Buzzword am RPA-Himmel? 

Vermutlich haben sie den Begriff Hyperautomation bereits im Umfeld von RPA gehört – in diesem Artikel gehen wir darauf ein, was man darunter versteht. Erfahrungsgemäß sind mit dem Thema RPA viele Erwartungen verknüpft, die nicht immer ganz erfüllt werden. Es bietet viele Möglichkeiten Prozesse zu automatisieren oder Lücken zu füllen. Um das Maximum einer RPA-Initiative herauszuholen sind jedoch weitere Schritte nötig. Wir erklären Ihnen, wie sie das volle Potenzial der Automatisierung erreichen können. 

Hyperautomation

Seit ein paar Jahren spricht man im Umfeld von RPA auch von Hyperautomation. Eine klare Definition des Begriffes liegt allerdings nicht vor. Der Begriff ist Kunstwort, der im Marketing verwendet wird. Dabei steht RPA im Zentrum des Begriffs. Je nach Kontext werden unterschiedliche Bestandteile vorliegender Erläuterungen vermischt und hervorgehoben. 

Zerlegt man das Wort Hyperautomation nun in seine zwei Elemente, kann man daraus folgendes schließen: Das Wort „Hyper“ als vorangestelltes Wort mit einem nachfolgenden Begriff bedeutet, dass etwas über das gewöhnliche Maß hinaus gesteigert ist. Unter Automation hingegen versteht man die Ausführung von Arbeitsschritten, die ohne menschliches Eingreifen ablaufen. Aus diesen beiden Wortelementen lässt sich daher ableiten, das Hyperautomation versucht, die Automatisierung gegenüber dem Vergangenem zu steigern. Der Begriff ist zwar relativ neu, die Bestrebung mehr als „nur“ RPA zu machen, ist es jedoch nicht. Das Ziel ist es demnach, das nächste Level bei der Automatisierung zu erreichen.

Warum braucht es Hyperautomation?
Die Grenzen von RPA

Zunächst betrachten wir wie RPA-Prozesse ablaufen: Häufig arbeiten Bots im Hintergrund und führen Aufgaben völlig ohne menschliches Zutun aus (unbeaufsichtigt, unattended oder Dunkelverarbeitung genannt). Darüber hinaus gibt es noch den assistierenden Modus (attendend), bei dem der Bot im Tandem mit dem menschlichen Benutzer arbeitet und auf dessen Aktionen reagiert oder durch diesen beauftragt wird. Es handelt sich hierbei stets um regelbasierte Abläufe, die nur wenige Ausnahmen beinhalten. Für diese Fälle ist RPA bestens geeignet. Aufgaben, die komplexe Entscheidungen beinhalten, werden zusätzlich von menschlichen Kollegen bearbeitet (Human in the loop). Der Bot kann erst weiterlaufen, nachdem der Mensch seinen Teil der Aufgabe erfüllt hat.

Abbildung einer Prozesses mit gestalteten Tieren und einem menschlichen Kopf in der Mitte.
Abbildung1: Aufgabenstellung „Finde die Abbildung mir der Katze“

Wo liegen nun die Grenzen von RPA? RPA kommt an Grenzen, sobald die Komplexität von Prozessen oder Entscheidungen steigen. Die Grenzen lassen sich leicht an folgendem Identifikations-Beispiel aufzeigen: Ein Bot bekommt unterschiedliche Bilder für eine Analyse zur Verfügung gestellt und soll anschließend das Bild identifizieren, dass eine Katze darstellt. Für einen reinen RPA-Bot wäre diese Aufgabe mit einfachen Mitteln, wie z. B. Bilderkennung und einer einfach programmierten Logik nicht lösbar, da minimale Abweichungen bereits das Erkennen verhindern. Bei Bildern müsste daher eine sehr hohe Übereinstimmung mit einem Vergleichsmuster vorhanden sein, damit sie als die gesuchte Katze identifiziert werden.

Ein anderes Beispiel ist das Textverständnis. Obwohl Bots zwar Worte aus Texten erkennen können, funktioniert dies weiterhin am besten mit Formularen und unter Zuhilfenahme von regulären Ausdrücken oder einer programmierten Logik. Denn der Bot kann den Kontext nicht erschließen, indem das gefundene Wort steht.

Anspruchsvolle Aufgaben lösen

Ein Prozess soll Ende-zu-Ende automatisiert werden, aber Entscheidungskomplexität oder Prozesskomplexität übersteigen die Möglichkeiten des klassischen RPA. Betrachtet man erfolgreiche Use-Cases, finden sich komplexere Fälle, in denen neben der reinen RPA-Technologie noch weitere Bausteine integriert sind, wie z.B. das Erkennen von unstrukturierten Daten aus Dokumenten oder Spracheingaben. Ein einfacher Use-Case ist beispielsweise die Verbuchung von Belegen in einem ERP-System, wobei der Bot eine Excel-Liste oder eine CSV-Datei ausliest und die Daten in Buchungsmasken eingibt. Ein komplexerer Fall wäre etwa das Interpretieren von E-Mails, deren Sortierung und auszuführende nachgelagerte Tätigkeiten, die auf dem Inhalt der E-Mail basieren. Betrachtet man beispielsweise das Reklamationsmanagement, bei dem ein Kunde sein Anliegen z. B. über ein Portal in ein Online-Formular eingibt oder per E-Mail als Freitext weiterleitet, so handelt es sich häufig um ein komplexeres Thema. Während man bei einem Portal durch Drop-Down-Menüs viele Einschränkungen und Klassifizierungen vornehmen kann, die als Basis für eine regelbasierte Abarbeitung dienen, ist dies bei E-Mails nicht der Fall. Hier müssen zusätzliche Funktionen unter Zuhilfenahme von KI z.B. Machine Learning, bereitgestellt werden, um die Aufgabe ohne menschliche Bearbeiter zu erfüllen. 

Was zählt heute alles zum Begriff Hyperautomation?

Hyperautomation wird häufig im Kontext von RPA benutzt – und das aus gutem Grund, denn Schritt Eins der Automatisierung leistet weiterhin häufig ein Bot. Allerdings ist RPA nicht zwingend erforderlich, um das Ziel der Hyperautomation zu erreichen. Hyperautomation ist ein Sammelbegriff für Technologien rund um die Geschäftsprozessautomatisierung. Er beinhaltet beispielsweise Intelligent Document Processing (IDP), Business Process Management (BPM), Workflow-Management-Systeme oder andere Werkzeuge, die eine Automatisierung von Geschäftsprozessen ermöglichen. Künstliche Intelligenz (KI) spielt dabei eine wesentliche Rolle, um auf die nächste Ebene der Automatisierung vorzudringen. Viele RPA-Hersteller haben in den letzten Jahre Erweiterungen an ihrem Lösungsportfolio vorgenommen, um Themen wie Chatbots, KI, Workflowmanagement oder Dokumentenbearbeitung zu adressieren.

Abbildung2: Kombination unterschiedlicher Technologien

Automatisierungs-Silos auflösen

Ein wichtiger Aspekt von Hyperautomation ist die Verbindung der vorhandenen Systeme und Technologien untereinander. Nur wenn z.B. die SAP-Lösung eng verzahnt mit anderen Technologien verbunden ist, kann eine Ende-zu-Ende Automatisierung ermöglicht werden. Wer schon einmal auf einer Bundesstraße oder Autobahn unterwegs war, kennt vielleicht das Schild mit der Aufschrift: „Ende der Ausbaustrecke“. Ab diesem Punkt folgen meist Landstraßen mit weniger Fahrspuren. Im übertragenen Sinne kommt dies auch in Unternehmen mit einer heterogenen IT-Landschaft vor. Während Teilstrecken bereits automatisiert sind und Prozesse flüssig laufen, klemmt es an anderen Stellen. Allein durch RPA oder Workflow-Management-Systeme kommt man allerdings nur bis zu einem bestimmten Punkt, denn bei komplexeren Tätigkeiten sitzen häufig Menschen an Schnittstellen zwischen unterschiedlichen Prozessen. Durch die Zuhilfenahme von KI lassen sich menschliche Eingriffe oder Entscheidungsprozesse auf ein Minimum reduzieren und durchgängige Lösungen schaffen. Somit können menschliche Schnittstellen zwischen Systemen ersetzt und Automations-Silos aufgelöst werden.

Hyperautomation zur Lösung komplexer Problemstellungen

Nachfolgend ist ein Beispiel dargestellt, wie mit Hyperautomation ein Geschäftsprozess optimiert werden kann. 

Betrachtet werden die Prozesse „Rechnungseingang“ und „Bezahlung“ bei einem großen Unternehmen:

Abbildung3.: Prozessbeschreibung von Rechnungseingang zu Bezahlung

Das Beispiel-Unternehmen hat einen hohem Materialeinsatz und erhält deshalb mehrere Tausend Rechnungen pro Monat. Dabei weisen mehr als die Hälfte aller Bestellungen einen Bestellbezug auf. Aufgrund von Vergleichen mit anderen Unternehmen und durch Beschwerden von Lieferanten wurde eine tiefergehende Analyse der vorliegenden Daten mittels Process Mining vorgenommen Dabei ist aufgefallen, dass es besonders im Bereich der Rechnungsprüfung zu Verzögerungen kommt. Das Process Mining deckt mehrere Varianten des Standardprozesses auf und zeigt, wie diese Varianten die Gesamtlaufzeit des Prozesses beeinflussen.

Die Ursachen dafür liegen im bisherigen Prozess: Die Eingangsrechnungen werden zuerst gescannt und den Sachbearbeitern zu Erfassung am Bildschirm bereitgestellt. Diese werden daraufhin manuell im ERP-System erfasst und zur Freigabe weitergereicht. Bislang werden außerdem alle Rechnungen vor dem Zahllauf gesperrt und manuell überprüft. 

Der Rechnungsprüfungsprozess läuft in der Regel per E-Mail ab, indem der Besteller ein Link zum eingescannten Dokument erhält, wo er einen Kommentar mit der Freigabe hinterlegt und die Freigabe per Mail zurückmeldet. Erst im Anschluss weist die Buchhaltung die Freigabe zur Zahlung an.

Die häufigsten Gründe für eine lange Dauer des Freigabeprozesses sind: 

  1. E-Mail wird verspätet bearbeitet
  2. Mitarbeiter befindet sich im Urlaub
  3. Falsche Person angeschrieben
  4. Link fehlt oder falscher Link kopiert

1. Automatisierungsschritt

Die manuelle Rechnungserfassung ist ein langwieriger und fehleranfälliger Prozess mit hohem Personalaufwand. Daher werden die Eingangsrechnungen im ersten Schritt der Automatisierung gescannt und automatisch per IDP ausgelesen. Rechnungen, die nicht eindeutig erkannt wurden, werden an Sachbearbeiter zur Nachkontrolle ausgesteuert. Alle Belege werden per Schnittstelle in das ERP-System übertragen und automatisch gebucht. Darüber hinaus können Erkennungsergebnisse durch Trainieren der IDP-Lösung kontinuierlich verbessert werden, sodass der Nachbearbeitungsaufwand nach und nach sinkt.

2. Automatisierungsschritt

Um die Rechnungsfreigabe zu verbessern, kommt im zweiten Schritt ein Workflowmanagement-System zum Einsatz. Alle Rechnungen, zu denen keine Bestellung im ERP-System hinterlegt sind, werden im Workflowmanagement-System an die Besteller übermittelt. Eine Vertreterregelung und eine Terminüberwachung mit Eskalationsmanagement tragen zur schnelleren Bearbeitung bei, sodass Krankheit oder Urlaub die Rechnungsfreigabe nicht mehr unnötig verzögern. Außerdem ist eine falsche Zuordnung des Freigebenden somit ausgeschlossen.

3. Automatisierungsschritt

Wenn ein Bestellbezug vorhanden ist, ist eine Freigabe durch den Besteller in der Regel nicht mehr erforderlich, sofern die Beträge aus Bestellung und Rechnung übereinstimmen. Im nächsten Schritt wird die Rechnungsfreigabe daher erweitert, indem Eingangsrechnungen automatisch gegen aufgegebene Bestellungen geprüft werden. Da keine Schnittstelle zwischen dem ERP-System und dem Workflowmanagement-System existiert, prüft ein RPA-Bot jeden Beleg auf eine vorhandene Bestellung im ERP-System. Bei einer vollständigen Übereinstimmung zwischen Rechnung und Bestellung wird kein Rechnungsfreigabe-Prozess mehr benötigt.

4. Automatisierungsschritt

Aufgrund von kleineren Abweichungen zwischen den Bestellungen und dem Rechnungsbetrag konnten bislang nicht alle Freigabeprozesse vollständig automatisiert werden. Um die Anzahl der manuellen Freigabeprozesse weiter zu reduzieren, wird eine KI in Form von Machine Learning hinzugezogen. Ein Sachbearbeiter prüft dabei die Bestellung und entscheidet fallweise anhand unterschiedlicher Kriterien, wie z.B. prozentuale Abweichung vom Rechnungsbetrag, Material und Währung, ob die Abweichung zwischen der Bestellung und dem Rechnungsbetrag plausibel, oder ob eine Klärung des Sachverhalts notwendig ist. Die Ergebnisse der manuellen Prüfung werden als Basis zum Training der KI genutzt. Im Späteren Verlauf ruft der Bot die KI-Lösung auf, wenn es zu Abweichungen zwischen Bestellung und Rechnung gekommen ist. Die KI entscheidet dann, ob der Fall manuell nachbearbeitet werden muss.

Fazit

Hyperautomation ist die Kombination unterschiedlicher Technologien, z.B. in Verbindung mit KI, die auf bestehende Automatisierungen aufsetzen und diese auf ein höheres Niveau bringen. Das vorhergehende Beispiel zeigt nur einen kleinen Ausschnitt der Möglichkeiten zur Kombination von Technologien und erhebt keinen Anspruch auf eine vollumfängliche Darstellung. 


Quellen:

https://nativdigital.com/hyperautomation/

https://www.cloudcomputing-insider.de/was-ist-hyperautomation-a-faee5743803a7e1ae845c63c596739c2/

https://www.ibm.com/de-de/topics/computer-vision.https://www.btc-ag.com/SAP/SAP-Know-how/SAP-Innovationswelt/machine-learning