Mythos Robotic Process Automation

Robotic Process Automation (RPA) spielt seine wichtige Rolle im Bereich der Digitalisierung und der Büro-Automation. Vor allem in den letzten Jahren konnte sich RPA als Low-Code Alternative zu Software-Integrationsprojekten etablieren, denn Bots können menschliche Aktionen am Computer imitieren. Zusätzlich stehen ihnen Aktivitäten zur Verfügung, die eine weitaus effizientere Arbeitsweise erlauben als es bei einer manuellen Vorgehensweise der Fall ist. Mittels RPA können so standardisierte Prozesse, die wenige Ausnahmen beinhalten, automatisiert werden.

Wie RPA wahrgenommen wird 

Liest man die Studien von Beratungshäusern, stellt man fest, dass es trotz einer Fülle an Informationsquellen noch viele Missverständnisse gibt, die es auszuräumen gilt. In einigen Fällen führen diese Mythen dazu, dass das Thema RPA ausgeklammert oder aber falsche Erwartungen an den Einsatz einer RPA-Software geknüpft werden. Nachfolgend werden einige dieser Annahmen diskutiert. 

RPA bringt vor allem monetäre Einsparungen 

RPA ist in Unternehmen seit fast einem Jahrzehnt auf dem Vormarsch. Die Automatisierung wurde zu Anfang häufig als eine Option gesehen kurzfristig Kosten zu sparen, indem man manuelle Tätigkeiten reduziert und Mitarbeitende freisetzt.

Abb.1: Überraschung: Der neue digitale Kollege ist da!

Dies ist meistens eine falsche Annahme, die auf simplen Rechenmethoden basiert und wichtige Faktoren außer Acht lässt, wie z.B. Sonderfälle und Fehlerhäufigkeit innerhalb eines Prozesses. Durch diese Sichtweise ergibt sich das Problem, dass die Mitarbeitervertretung und die Belegschaft RPA gegenüber Vorbehalte haben, die häufig unbegründet sind.

Fakt ist, dass sich viele Einsparungen nur indirekt messen lassen, sieht man einmal von den wenigen Fällen ab in denen Beschäftigte tatsächlich durch Bots ersetzt werden. Heißt das, dass RPA sich jetzt doch nicht rechnet? Keineswegs! Hier ist ein kleiner Ausschnitt über den Nutzen, den RPA Unternehmen bringen kann:

  • Beschleunigung der Durchlaufzeiten
  • Reduzierung von manuellen Fehleingaben
  • Erweiterung der Verfügbarkeit (24 x 365)
  • Prozessdigitalisierung
  • Erhöhung der Mitarbeitereffizienz
  • Steigerung der Kundenzufriedenheit
  • Ressourcenknappheit / personelle Engpässe überwinden

Zufriedenheit und Effizienz der Mitarbeitenden verbessern sich, wenn sie von monotonen Tätigkeiten entlastet werden. Prozesse werden hinsichtlich Verfügbarkeit, Transparenz und Geschwindigkeit verbessert. Wenn Bots in Bereichen zum Einsatz kommen, in denen Servicezeiten verlängert und Fehler reduziert werden, steigt auch die Kundenzufriedenheit.

RPA ist eine Insel-Lösung

Oft findet man nur einen kleinen Anwendungsbereich im Unternehmen, in dem Bots zum Einsatz kommen, so als ob die Bots nur für einen einzigen Zweck geschaffen wurden. Dies geschieht häufig dann, wenn RPA nicht als strategische Initiative innerhalb des Unternehmens begriffen wurde. Natürlich können auch andere Gründe vorliegen, zum Beispiel, wenn das RPA-Projekt nicht den erhofften Nutzen gebracht hat, der zu Beginn errechnet wurde oder wenn der Fokus innerhalb des Unternehmens auf anderen Investitionen liegt. Vor allem bei Unternehmen, in denen wenige Bots zum Einsatz kommen, ist RPA nicht über den Status einer Insel-Lösung hinausgekommen. In der Regel wird auch dann nicht das volle Potential der RPA-Plattform ausgeschöpft, da die eingesetzten Bots nicht im Vollzeitbetrieb laufen.

RPA kann in einer Fülle von Anwendungsfällen erfolgreich zum Einsatz gebracht werden und sollte keine Insel-Lösung sein.

Mein Bot oder dein Bot?

Häufig ist RPA mit einer Kostenstelle verknüpft, was zum zuvor genannten Problem der Insel-Lösung beiträgt. Ein Bot kann im Dauerbetrieb laufen und dabei unterschiedliche Aufgaben wahrnehmen. Was heißt das konkret? Wenn man einen 24-Stunden-Tag zu Grunde legt, dann kann ein Bot wahre Wunder vollbringen. Zum Beispiel kann der Bot tagsüber regelmäßig Buchungsvorgänge im Rechnungswesen vornehmen, am frühen Morgen könnten für das Marketing oder andere Abteilungen Reports heruntergeladen werden und nachts könnte der Bot Produktpreise bei Wettbewerbern überwachen. Das alles lässt sich mit einer einzigen Lizenz bewerkstelligen. Der Bot wechselt nur zu bestimmten Zeiten zwischen unterschiedlichen Tätigkeiten.

Auch hier heißt es: „Sharing is caring“ oder zu Deutsch „Teilen bedeutet Fürsorge“.

RPA geht auch ohne die IT-Abteilung

Aktuell richtet sich die Ansprache der RPA-Anbieter meistens an die Fachabteilungen, um RPA-Prozesse zu pilotieren oder sogenannte PoC („Proof of Concept“) durchzuführen. Dazu ist meist nicht viel Aufwand notwendig. Für die Installation eines Bots benötigt man lediglich administrative Rechte. Die Installation eines Servers zur Steuerung der Bots ist in der Regel nicht notwendig, wenn eine Verbindung zum Internet besteht. Häufig wird versucht die IT-Abteilung dadurch zu entlasten, dass man die Kollegen nach der Tool-Auswahl vor vollendete Tatsachen stellt. Man tut jedoch gut daran die IT-Abteilung rechtzeitig in den Auswahlprozess einzubeziehen und vorab Zuständigkeiten festzulegen.

In der Cloud läuft alles besser

Viele Anbieter stellen den Kund:innen die Option zur Auswahl, RPA aus der Cloud heraus zu betreiben. Neben kaufmännischen und fachlichen Themen sollte dringend geklärt werden, ob eine Installation on-Premises sinnvoll ist oder der Betrieb in der Cloud des Anbieters stattfinden kann. Wichtig sind z.B. technische Fragen, wie Patches und Releasewechsel, die beim Anbieter vollzogen werden und welche Dinge der Kunde dabei zu beachten hat. Auch Themen wie Security und Compliance müssen untersucht werden. Nicht zuletzt sollte hinterfragt werden, welche Auswirkungen eine Nichtverfügbarkeit der RPA-Anwendung auf die eigenen Prozesse hat.

RPA ist nur für größere Unternehmen interessant

Viele RPA-Anbieter haben mittlerweile Angebote im Programm, die es erlauben RPA kostengünstig einzusetzen. Diese Kleinstlösungen basieren häufig auf einer Cloud-Lösung. Neben den reinen Lizenzkosten, die sich im Bereich eines PKWs der unteren Mittelklasse oder sogar darunter bewegen, sind noch initiale Kosten für Trainings und Unterstützung hinzuzurechnen. Meist können die Aufwände für ein RPA-Projekt aber schon innerhalb eines Jahres amortisiert werden. Somit rechnen sich die Investitionen auch schon für kleinere Unternehmen oder „kleine“ Projekte.

RPA ist doch auch Low Code oder?

Ähnlich wie viele Low Code Plattformen erlauben RPA-Anbieter eine Codierung mittels vorgefertigter Schritte, die mit Variablen oder Parametern ergänzt werden. Je nach RPA-Anbieter ist die grafische Programmierung aber unterschiedlich komplex. Außerdem sind bezogen auf den Anbieter eventuell Programmierkenntnisse erforderlich. Befindet man sich noch in der Tool-Auswahl, lohnt es sich auf jeden Fall eigene Anforderungen hinsichtlich der Codierung praktisch zu überprüfen und mit anderen Anbietern zu vergleichen. Als Low Code Plattform dürfte danach nicht jede RPA-Lösung durchgehen.

Bots können durch Citizen Developer entwickelt werden

Eine Auffassung, die durch die RPA-Anbieter gerne verbreitet wird, ist das Bild vom sogenannten „Citizen Developer“, der ohne Expertenkenntnisse Bots erstellt und nur gelegentlich die Unterstützung von „echten“ Entwickler:innen braucht. Tatsächlich gelingt es vielen technikaffinen Menschen, einfache Bots zu bauen und diese bei Bedarf anzupassen. Citizen Developer sind allerdings nicht ganz unproblematisch, da sie eben nicht über Expertenkenntnisse verfügen. Um geschäftskritische Prozesse zu automatisieren und umfangreiche Logik zu implementieren, sollten daher auch immer erfahrene Expert:innen eingesetzt werden. Zudem sollten die Aktivitäten der Citizen Developer in Prozesse eingebettet werden, die einen Wildwuchs an Bots und RPA-Projekten vermeiden. Vergleicht man unterschiedliche RPA-Plattformen miteinander, lohnt es sich genau zu hinterfragen, ob ein Citizen Developer mit den vorhandenen Werkzeugen vernünftig umgehen kann.

Achtung: Es wird immer mindestens ein:e RPA-Expert:in benötigt, welche:r umfangreiche Kenntnisse der Methoden und der Plattform hat.

RPA beinhaltet AI (Artificial Intelligence) oder Machine Learning

Eine Annahme, die manchmal getroffen wird, ist, dass es sich bei RPA und AI um das Gleiche handelt. RPA-Anbieter werben teilweise mit AI-Funktionalitäten. Es ist zwar korrekt, dass viele RPA-Anbieter die Möglichkeit zur Integration von AI oder Machine Learning bieten, dies sind jedoch meist nur Erweiterungen der RPA-Plattform. Daher lohnt es sich beim Vergleich der Anbieter einen genaueren Blick darauf zu werfen, in welchem Umfang diese Technologien tatsächlich integriert wurden. Im Kern handelt es sich bei RPA-Bots um einfache, nicht intelligente Prozessautomatisierungen.

Achtung: AI und Machine Learning sind relativ neue Felder, die RPA ergänzen. RPA-Expert:innen müssen deshalb nicht notwendigerweise über Kenntnisse in AI oder Machine Learning verfügen.

RPA ist schneller als klassische Software-Entwicklung

RPA ist doch agile Software-Entwicklung? So oder so ähnlich könnte die Frage lauten. Prinzipiell kann man durch die Verwendung von RPA schneller eine Lösung bereitstellen, als es mit der klassischen Softwareentwicklung möglich ist. Ob man dabei auf agiles Projektmanagement setzt oder eher klassische Methoden verwendet sei erst einmal dahingestellt.

Mit RPA lässt sich meist schneller eine Schnittstelle umsetzen als mit klassischer Programmierung.

RPA ist universal einsetzbar

Es gibt Anwendungsgebiete, die dem Einsatz von RPA entgegenstehen, zum Beispiel wenn eine stabile Lösung gefordert ist, die keine Fehler erlaubt. Denken Sie nur mal an Fahrerassistenzsysteme in einem Auto. Daher sollte vor jedem Projekt untersucht werden, ob RPA als geeignete Lösung sinnvoll ist. Dazu gibt es eine Reihe von Fragen, die im Rahmen der Prozessanalyse gestellt werden müssen. Nicht zuletzt ist eine umfangreiche Prozessanalyse im Vorfeld von großangelegten Automatisierungsvorhaben notwendig. Es kann auch sinnvoll sein, einen Prozess zuerst neu zu definieren, bevor man an die Automatisierung herangeht. Denn einen “problembehafteten Prozess” zu automatisieren, bringt in der Regel keine optimalen Ergebnisse.

RPA ist keine Software-Entwicklung

Man kann darüber streiten, ob RPA in das Gebiet der Softwareentwicklung fällt oder nicht. Betrachtet man das Thema genauer, stellt man fest, dass einige wesentliche Merkmale der Softwareentwicklung gegeben sind. Daher sollten RPA-Projekte auch wie Software-Entwicklungsprojekte behandelt werden. Sicher braucht man nicht für jede Kleinstentwicklung eine umfangreiche Analyse und Dokumentation, bei größeren Vorhaben ist ein gutes Projektmanagement jedoch unerlässlich. Letzten Endes tut man sich selbst und allen Betroffenen keinen Gefallen, wenn man auf das Projektmanagement verzichtet.

RPA ist nicht für End-to-End Automatisierung geeignet

Oftmals ist es der Wunsch einen Prozess komplett zu automatisieren. Viele RPA-Initiativen sind daran gescheitert, komplexe Prozesse im Rahmen einer End-to-End Automatisierung umzusetzen. Dies lag zum einen daran, dass man zu Beginn der RPA-Ära ein wenig zu blauäugig an das Thema der Umsetzung heranging und keine umfassenden Prozessanalysen stattgefunden haben. Zu häufig wurden Erwartungen geweckt und Versprechen gemacht, die später nicht eingehalten werden konnten. Unterdessen zeigt sich, dass man durchaus auch komplexe Vorhaben mit RPA umsetzen kann. Es empfiehlt sich hierbei zunächst Teilbereiche eines Prozesses umzusetzen. Außerdem sollte man nicht den Anspruch einer 100%igen-Lösung verfolgen.

RPA ist eine Brückentechnologie

Durch RPA lassen sich viele Brücken schlagen: z.B. automatisierte Eingaben oder Abfragen von Legacy-Systemen. Was passiert jedoch, wenn diese Legacy-Systeme abgeschaltet werden? Bedeutet das auch das Ende von RPA? Mittlerweile zeigt sich, dass RPA nicht ausschließlich nur als Brücke zwischen Altsystemen und moderneren Applikationen fungiert, nein RPA kann deutlich mehr. Im Bereich der Backoffice-Automation gibt es eine Vielzahl von Anwendungsfällen, in denen Bots völlig autonom Prozesse durchführen, bei denen der Mensch nur noch im Fehlerfall eingreifen muss. Die RPA-Anbieter haben aber durch die Schnittstellen zu künstlicher Intelligenz ganz neue Betätigungsfelder aufgetan. Zudem kommt eine ständige Weiterentwicklung der RPA-Plattformen, womit die Anbieter in das Feld der klassischen Workflowmanagement-Tools vorstoßen. Durch sogenannte Attended Bots werden den Mitarbeiter:innen Prozesse zur Verfügung gestellt, in denen ein Bot bei Bedarf angestoßen werden kann, um bestimmte Eingaben oder Abfragen im Tandem mit den Mitarbeitenden durchzuführen. Daher darf man ruhig davon ausgehen, dass RPA eine Technologie ist, die uns auch in Zukunft noch begleiten wird.

Fazit

Das Thema RPA wird uns noch lange erhalten bleiben.

Durchleuchtet man die Thematik genauer, können Mythen schnell überprüft werden. Das betrifft auch die Frage, welches RPA-Tool für die eigenen Anforderungen am besten geeignet ist. Falls Sie überlegen RPA einzusetzen oder wenn Sie glauben, dass ihre RPA-Initiative bereits gescheitert ist, können unabhängige Berater behilflich sein, um gemeinsam die richtigen Schritte zu gehen.