Einmal mit den Großen spielen, das wäre doch toll, oder? Bei der Betrachtung von Objectives & Key Results (OKR) in den verschiedenen Medien drängt sich dieser Vergleich auf. Da gab es dieses „eine“ Video auf YouTube, in dem einige Mitarbeitende, die bei Google beschäftigt sind, begeistert über OKR sprachen und damit einen Run auf dieses Framework ausgelöst haben.
Doch zunächst mal zurück an den Anfang: Was ist OKR und woher kommt es eigentlich? „Erfunden“ hat OKR ein gewisser Andy Grove, kein Unbekannter, der als Manager an dem Aufstieg und wirtschaftlichen Erfolg bei Intel beteiligt war. Er machte sich in den 70er Jahren Gedanken darüber, wie man das von Peter F. Drucker begründete „Management by Objectives“ weiterentwickeln könnte. Ziel war es, vor allem folgende Aspekte zu verändern:
- Kürzere Zyklen
- Stärkere Fokussierung
- Einbeziehung der Mitarbeitenden
Dabei hat sich Grove folgende Fragen gestellt (Lobacher & Jacob, 2020, S. 98):
- Wo will ich hin? (Objectives)
- Wie komme ich dorthin? (Key Results)
Grundlegend hat Grove hier Gedanken vorweggenommen, die einige Jahrzehnte später von den Agilisten wieder aufgenommen wurden. Insbesondere die kürzeren Zyklen und die stärkere Einbeziehung von Mitarbeitenden, klingen schon verdächtig nach agilen Werten und Prinzipien.
Die Ideen von Grove haben sich im Laufe der Zeit weiterentwickelt. Ein Meilenstein ist sicherlich der Umstand, dass Google kurz nach seiner Gründung OKR adaptiert hat. Seitdem das Framework größere Verbreitung gefunden hat, ist es deutlich gewachsen. Mittlerweile umfasst es einen Zyklus mit dedizierten Events, die Rolle des Hauptverantwortlichen, eine systematische Abgleichung mit dem Leitbild des Unternehmens und eine ausformulierte Werte- und Prinzipienbasis.
Interessant dabei ist, dass sich mit der Zeit auch die ursprüngliche Fragestellung verändert hat und in komplexen Umgebungen aus dem “Wie komme ich dorthin?” ein ”Woher weiß ich, dass ich da bin?” geworden ist.
Was will OKR?
Was aber versucht OKR nun eigentlich zu adressieren? OKR möchte zunächst die Frage beantworten, wie eine strategische Planung auf die operationelle Ebene gebracht werden kann, ohne dabei einen stringenten Top-Down-Ansatz zu verfolgen. Weiterhin soll ein eher adaptiver Ansatz verfolgt werden, der Änderungen an Rahmenbedingungen berücksichtigt und damit eine Anpassung von Zielen ermöglicht. Folgende fünf Prinzipien fassen den Ansatz zusammen:
Selbstorganisierte Teams
Teams müssen selbstbestimmt an ihren Objectives und Key Results arbeiten dürfen.
Eine Herausforderung bei der Umsetzung einer Strategie ist, dass die involvierten Teams oftmals nicht eingebunden werden. Nach klassischem Top-Down-Muster werden den Teams Vorgaben gemacht, was zu tun ist, ohne dabei den individuellen Blick der Teams zu berücksichtigen. Ob die Vorgaben für die Teams nach diesem Muster sinnvoll sind, wird nicht, oder nur unzureichend hinterfragt.
In einer zunehmend komplexeren Welt, mit sich immer schneller verändernden Rahmenbedingungen sind kreative Lösungen gefragt. Solche Lösungen leben davon, dass sich die Beschäftigten im operativen Betrieb mit einbringen, da sie einen unverfälschten Blick auf den operativen Betrieb haben. Teams können und sollen selbstbestimmt darüber entscheiden, wie sie in ihrem Aufgabenbereich die Erreichung der strategischen Ziele positiv beeinflussen können. Dabei können die spezifischen Umstände des Teams individuell berücksichtigt werden.
Ein weiterer wichtiger Punkt dabei ist, dass Teams so aus der Rolle der reinen Befehlsempfänger herauskommen und eher als integraler Bestandteil einer Organisation wahrgenommen werden. Sie können einen aktiven Part bei der Erreichung der Unternehmensziele und Visionen übernehmen und sich damit einbringen.
Kurze Iterationen
Sich verändernde Rahmenbedingungen benötigen Ziele, welche schnell angepasst werden können.
In vielen Situationen ist es fraglich, ob eine langfristige Planung auf operativer Ebene tatsächlich sinnvoll ist. Zu schnell ergeben sich in der heutigen Zeit Änderungen, auf die reagiert werden muss, zumindest wenn man verhindern will, dass Aufwände in obsolete Themen fließen. Sowohl auf strategischer als auch operativer Ebene nutzt OKR kürzere Planungszyklen. Dies ermöglicht es die Pläne zur Erreichung der übergeordneten Ziele flexibler anzupassen und somit schneller auf Veränderungen reagieren zu können.
Stetige Verbesserung
Der OKR Prozess lebt und wird beständig durch Reflexion und Retrospektiven angepasst.
OKR ist ein leichtgewichtiges Framework, welches davon lebt, auf die individuellen Bedürfnisse einer Organisation hin angepasst zu werden. Organisationen sind komplexe Gebilde, keine gleicht der anderen, weshalb eine OKR-Implementierung auch immer auf die Besonderheiten einer Organisation abgestimmt werden muss.
Werkzeuge wie eine Retrospektive am Ende eines jeden OKR-Zyklus unterstützen die Anpassung der Vorgehensweise. Schlussendlich wird sich OKR in jeder Organisation beständig weiter entwickeln und von Zyklus zu Zyklus optimiert werden, und kann alle Beteiligten bei der Umsetzung ihrer Ziele unterstützen.
Agilität
Agilität hilft sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und schnell und zielgerichtet zu reagieren.
Adaptives Vorgehen, also die Fähigkeit Veränderungen bewusst wahrzunehmen und sie in das eigene Handeln mit einzuschließen, ist einer der Punkte die OKR versucht zu transportieren. Dabei soll vor allem verhindert werden, dass an Dingen festgehalten wird, die nicht mehr auf die Erreichung von Zielen einzahlen. Wenn wir feststellen, dass Aktivitäten oder Pläne an der Realität vorbei gehen, dann sollten wir sie nicht mehr verfolgen. Es ist nichts Verkehrtes dabei, einen Plan zu ändern oder anzupassen.
Agilität in diesem Kontext bedeutet aber auch, den Mut zu haben, aus alten Denkmustern auszubrechen. Es gilt die Entwicklung von kreativen Ideen zu fördern und dabei jede Ebene einer Organisation dazu einzuladen, eigene Lösungsansätze zu entwickeln.
Fokus
OKR hilft darüber nachzudenken, was wirklich wichtig ist und damit wirkungsvoll eine Strategie zu verfolgen.
Ein häufig unterschätztes Problem in unserer heutigen Zeit ist das Thema Fokus. Wir erliegen dem Trugschluss, dass wir in der Lage sind, viele Dinge gleichzeitig zu bearbeiten und zu Ende bringen zu können. Gleich einem Jongleur haben wir viele Bälle gleichzeitig in der Luft, je mehr desto besser. Problematisch erweist sich aber allzu oft, dass wir viele Dinge zwar auf den Weg, aber weitaus weniger Dinge dann auch zum Abschluss bringen.
Ziel jedoch muss sein, Dinge auch zu einem Abschluss zu bringen, denn nur dann werden sie auch wirksam. Es macht also wenig Sinn 10 Dinge auf der Agenda zu haben, die man gleichzeitig bearbeiten möchte, nur, um am Ende mit keinem der Dinge auf der Liste zu einem Abschluss zu kommen.
Weitaus effizienter ist es, sich auf einige wenige, wirklich wichtige Dinge zu konzentrieren, und diese dann auch umzusetzen. OKR unterstützt diesen Ansatz und ruft dazu auf, sich in jedem Zyklus nur auf eine sehr begrenzte Anzahl von Dingen zu einigen, die erreicht werden sollen.
Fasst man all diese Elemente zusammen, erhält man folgende Definition:
Abbildung 1 – OKR Definition (Lobacher & Jacob, 2020, S. 95)
Die wichtigsten Elemente von OKR
Der OKR-Zyklus ist das zentrale Element innerhalb des Frameworks. In einem Zyklus, der zwischen 3-4 Monaten dauert, werden zu Beginn die Objectives definiert ebenso wie die dazugehörigen Key Results. Die Objectives stellen dabei ein qualitatives Ziel dar, dass innerhalb eines Zyklus erreicht werden soll. Gepaart wird jedes Objective mit einer Reihe von Key Results, die anzeigen sollen, ob ein Ziel erreicht wurde.
Jeder Zyklus beginnt mit der Planung der Objectives und Key Results für den anstehenden Zyklus. Bei der Ausformulierung orientiert sich das Team an der Strategie und Vision der Organisation. Weitere Elemente sind hier die Mid Term Goals, welche die Bindeglieder zwischen der strategischen und der operativen Welt darstellen. Damit werden diese beiden Ebenen miteinander vereint, was den strategischen Bezug von kurzfristigen Zielen ermöglicht.
Abbildung 2 – OKR – Objectives (Lobacher & Jacob, 2020, S. 116–119)
Abbildung 3 – OKR – Key Results (Lobacher & Jacob, 2020, S. 119–126)
OKR legt großen Wert auf Transparenz, weshalb in einer Organisation alle Objectives und Key Results für alle zugänglich publiziert werden. Dies hilft dabei Interessenskonflikte und Überschneidungen zu identifizieren, die dann zwischen den Beteiligten besprochen und gelöst werden müssen.
Nach Start des Zyklus findet auf der Ebene der jeweiligen Teams ein regelmäßiges Meeting statt, bei dem über den Status der Key Results, Probleme bei der Umsetzung usw. gesprochen wird. Am Ende eines Zyklus stehen dann ein Review Meeting und eine Retrospektive an. Der Review dient zur abschließenden Überprüfung, inwieweit Objectives und Key Results erreicht wurden, bzw. inwieweit die Objectives tatsächlich zur Umsetzung der Strategie beigetragen haben. Die Retrospektive wiederum dient als Instrument, in welchem das Team auf den gelebten OKR-Prozess schaut und Elemente identifiziert, die verbessert, neu hinzugenommen, oder weggelassen werden sollen.
Abbildung 4 – OKR – Übersicht Prozess (Lobacher & Jacob, 2020, S. 115)
OKR in der Praxis
OKR kann auf Grund seiner anpassungsfähigen Ausgestaltung sehr flexibel innerhalb einer Organisation eingeführt werden. Tatsächlich ist es sehr gut möglich, OKR nur in einem Teilbereich einzuführen, um dort beispielsweise eine neue strategische Initiative zu unterstützen, welche sich dieser Bereich als Ziel gesetzt hat.
Wichtig ist hier, allen Beteiligten einen Überblick über das OKR Framework zu geben, damit ein gemeinsames Verständnis über das neue Vorgehen herrscht. Ein weiterer essenzieller Punkt ist der Einsatz eines OKR-Masters. Diese Rolle sollte in jeder Organisation, die OKR einsetzen möchte, besetzt sein, da sie mitentscheidend für die erfolgreiche Anwendung des Frameworks ist.
Abbildung 5 – OKR Master (Lobacher & Jacob, 2020, S. 144–145)
Neben der Rolle als zentraler Ansprechpartner bei Fragen rund um das OKR-Framework, ist der OKR-Master auch wichtig, um Kontinuität bei der Umsetzung zu gewährleisten. Tatsächlich ist es so, dass über das Instrument der OKR-Weekly bei allen Beteiligten dafür gesorgt wird, dass die gemeinsam bestimmten Objectives nicht aus den Augen verloren werden.
Die Einführung und Nutzung von OKR ist ein evolutionärer Prozess für eine Organisation. Dieses Verständnis ist wichtig und sollte bei allen Beteiligten vorhanden sein bzw. geschaffen werden. Es werden mit Sicherheit Fehler gemacht als auch unpräzise Objectives oder Key Results definiert. Man wird sich zu viele Objectives vornehmen, aber all das gehört zum Prozess dazu und muss als wichtiges Element wahrgenommen werden, das hilft OKR anzupassen und sicherzustellen, dass es für die eigene Organisation wirksam wird. Die gemeinsame Reflexion in Form einer Retrospektive ist an dieser Stelle sehr wichtig und muss auf jeden Fall genutzt werden.
Mit jedem Zyklus lernen die Beteiligten OKR als Werkzeug besser zu nutzen, um besser zu beschreiben welche Ziele sie umsetzen sollen und wie sie erkennen, dass sie diese Ziele erreicht haben, bzw. auf einem guten Weg dahin sind.
Bei den Objectives stellt sich in der Praxis die Frage, ob man hier eher in Richtung „Moon Shots“ oder „Rooftop Shots“ tendiert. „Moon Shots“ stehen dabei für ambitionierte Ziele, deren Erreichung im ersten Moment völlig unmöglich erscheint. Je nach Organisation und Kultur kann ein solches Ziel aber ungeahnte Kreativität freisetzen. Hier bleibt jedoch festzuhalten, dass bereits eine Zielerreichung von beispielsweise 70% als voller Erfolg gefeiert wird.
Die „Rooftop“ Shots sind hier die realistischeren Ziele, bei denen man tatsächlich davon ausgeht, sie zu 100% erreichen zu können. Welcher Ansatz in der jeweiligen OKR-Implementierung gewählt wird, hängt sehr stark von der Organisation bzw. Kultur ab.
Zu guter Letzt
OKR erfindet die Welt nicht neu, noch ist es ein Allheilmittel für alle Probleme und Herausforderungen. Es bietet aber einen Ansatz, um in einer komplexen Welt mit dem Thema Strategie und deren Umsetzung umzugehen. Insbesondere eröffnet es die Möglichkeit, Teams von reinen Befehlsempfänger:innen zu aktiven Gestalter:innen zu transformieren, die auf diesem Weg ihre individuellen Sichten und Impulse in die Umsetzung von strategischen Zielen mit einfließen lassen können.
Literaturverzeichnis
Lobacher, P. & Jacob, C. (2020). Objectives & Key Results (OKR): Das agile Betriebssystem für moderne Organisationen. Independently published.