Mehr Effizienz in der Produktentwicklung dank funktionsorientiertem Systems Engineering

Kennen Sie das? Sie verpassen regelmäßig Release-Termine und Ihre Entwickler klagen über endlose Meetings zu Abstimmungen, Statusupdates, Lösungsfindung und zur Klärung der Umsetzung bestimmter Funktionen. Und trotz der vielen Meetings wissen die Entwickler am Ende nicht, was genau entwickelt werden soll. Die Folge: Es kommt immer wieder zu Designänderungen, weil nicht das entwickelt wurde, was die Stakeholder wirklich benötigen.

Viele Meetings, doch kein Mehrwert für die Entwicklung

Eins ist sicher – Sie sind nicht allein:

  • Ingenieure verbringen beinahe 30 % ihrer Arbeitszeit in Meetings (vgl. Clockwise 2022). 
  • Trotz der vielen Meetings zur Klärung von Fragen wird als einer der Hauptfaktoren für scheiternde Projekte ein mangelhaftes Anforderungsmanagement genannt (vgl. Standish Group 2015). 

Produktentwicklung ist und war nie einfach und wird es auch in Zukunft nicht werden. Im Gegenteil: Mit fortschreitender Digitalisierung und Vernetzung von Produkten steigt die Komplexität der zu entwickelnden Produkte. Eine reibungslose Abstimmung der beteiligten Disziplinen ist dabei notwendig, auch wenn ihre Anzahl kontinuierlich steigt. Jedoch kostet diese Koordination gleichzeitig wertvolle Entwicklerzeit.

Wie gelingt also der Spagat zwischen weniger Meetings und mehr Klarheit über Anforderungen und Entwicklungsfortschritt, um die Produktentwicklung effizienter zu gestalten und Produkte schneller auf den Markt zu bringen?

Eine Lösung ist Systems Engineering. Richtig umgesetzt reduziert es Meeting-Marathons, minimiert Fehlentwicklungen und sorgt für eine effizientere Produktentwicklung. Hierzu braucht es im Wesentlichen zwei Dinge:

  1. Einen modellbasierten Ansatz mithilfe einer Application Lifecycle Management (ALM-) Software: Das Modellbasierte Systems Engineering (MBSE)
  2. Ein methodisch konsistentes Vorgehen, welches sich an den Funktionen des geplanten Systems orientiert: Funktionsorientiertes Systems Engineering

Systems Engineering 

Systems Engineering ist ein interdisziplinärer Ansatz zur erfolgreichen Entwicklung und zum Management komplexer Systeme. Durch den Einsatz verschiedener technischer, organisatorischer und analytischer Prozesse ermöglicht er die Spezifikation, Verifikation und Validierung komplexer Systeme. Diese sind in der ISO 15288 standardisiert. Ein Vorteil dabei ist das Schaffen eines disziplinübergreifenden Verständnisses des Entwicklungsproblems bei allen an der Entwicklung beteiligten Parteien. Dadurch reduziert sich das Risiko von Fehlentwicklungen und häufigen Designänderungen. Als Resultat steigt die Qualität und die Entwicklungszeit sinkt.

Allerdings stößt das klassischen Systems Engineering auf Herausforderungen im dokumentenzentrierten Vorgehen. So ist beispielsweise die Sicherstellung der Konsistenz bei Änderungen der Spezifikationsdokumente eine zeitintensive Aufgabe, die keinen direkten Wertschöpfungsbeitrag leistet. Das kostet Zeit, erhöht den Abstimmungsaufwand und steigert das Risiko für Fehlentwicklungen. Statt klarer Entwicklungsvorgaben entstehen inkonsistente oder veraltete Spezifikationen und das Risiko für Fehlentwicklungen und Effizienzverluste bleibt bestehen.

Systems Engineering … aber modellbasiert?

Effizienter ist das Model-Based Systems Engineering (MBSE), bei dem eine datenzentrierte Sichtweise auf das System eingenommen wird. ALM-Softwarelösungen bieten hierbei einen entscheidenden Mehrwert: Sie erleichtern die Abbildung eines durchgängigen Informationsmodells des Systems ohne die aufwändige Integration einzelner Softwarelösungen für die Systementwicklung.

Das Systemmodell enthält alle Entwicklungsinformationen in Form von digital verlinkten Entwicklungsartefakten, z. B. Anforderungen und Testfälle, dient als gemeinsame Informationsbasis (Single Source of Truth) und Kollaborationsplattform für alle Entwicklungsdomänen.

MBSE bedeutet dabei nicht zwingend die ausschließliche Nutzung einer Modell-Syntax wie z. B. SysML, sondern kann auch eine Mischung aus textuellen Artefakten und Diagrammen umfassen. Besonders wichtig ist die Erfassung von Entwicklungsinformationen in Form von verlinkten Datenbankobjekten. So entsteht eine digitale Durchgängigkeit zwischen Entwicklungsaktivitäten und -artefakten. Diese Eigenschaft bezeichnet man als Traceability, welche bei der Konsistenzerhaltung der Daten im Fall von Änderungen unterstützt. 

Zusätzlich erlauben die Artefakte als Datenbankobjekte die Erstellung flexibler Sichten auf das System, z. B. durch Diagramme und Abfragen, verbessern dadurch die Spezifikation und erfüllen individuelle Informationsbedarfe der Stakeholder.

Abb. 1: Entwicklung vom klassischen dokumentenzentrierten Systems Engineering zum modellbasierten Systems Engineering

Modellbasierte Entwicklungsmethoden

Führende Unternehmen aus den Branchen Automobil- sowie Luft- und Raumfahrtindustrie befinden sich bereits in der Einführungsphase und implementieren zunehmend MBSE in ihre Entwicklungsprozesse. In diesem Kontext haben sowohl Industrieunternehmen als auch Softwareanbieter modellbasierte Methoden wie ARCADIA, Harmony-SE oder MagicGrid etabliert.

Viele der modellbasierten Entwicklungsmethoden basieren auf der modellbasierten Dekomposition des Systems und beziehen die Perspektiven Anforderungen, Verhalten (Funktionen) und Struktur mit ein – bekannt als RFLP-Ansatz (Requirement, Functional, Logical, Physical Viewpoint). Die Zerlegung des Systems in seine Bestandteile hilft dabei die steigende Systemkomplexität zu beherrschen.

Zentrale Rolle der Funktionen in modellbasierten Entwicklungsmethoden

Die funktionale bzw. verhaltensbezogene Perspektive spielt eine zentrale Rolle für die Ableitung konkreter Entwicklungsaufträge innerhalb multidisziplinärer Entwicklungsprojekte. Da Funktionen eine lösungsneutrale Analyse des Systems ermöglichen, bilden sie zusätzlich die Basis zur Bestimmung der notwendigen Systemkomponenten. 

Mittels Dekomposition der Funktionen und deren Allokation auf Komponenten können Entwicklungsumfänge klarer abgegrenzt und den jeweiligen Komponenten-Entwicklerteams übergeben werden. Da Funktionen den Daten-, Material und Energieaustausch zwischen Systemkomponenten, Fremdsystemen und zur Umwelt bestimmen, sind sie Grundlage für die Schnittstellendefinition. Dadurch wird eine stärkere Parallelisierung in der Entwicklungsarbeit und somit eine höhere Entwicklungsgeschwindigkeit erzeugt.  

Beim funktionsorientierten Systems Engineering leitet man daher zunächst aus den Anforderungen und Use Cases verschiedener Stakeholder konkrete Systemfunktionen ab. Dabei konzentriert es sich auf die wesentlichen Aspekte der bereits etablierten MBSE-Methoden, verfolgt dabei jedoch einen weniger strikt an SysML gebundenen Ansatz. Die spezifizierten Funktionen mit allen verlinkten Informationen zum Implementieren und Testen bildet dabei eine zentrale Grundlage für die Strukturierung und Zuweisung von realisierbaren Entwicklungsaufträgen an die Entwicklerteams. Auf diese Weise entsteht eine direkte Verbindung zwischen dem Systems Engineering und Projektmanagement.

Systems Engineering – modell- und funktionsorientiert – in fünf Schritten

Die untenstehende Abbildung fasst ein mögliches Fünf-Schritte-Vorgehen zusammen:

Fünf Schritte der Methode - System Engineering
Abb. 2: Fünf Schritte der Methode

1. Stakeholder und Kontextanalyse

Erhebung von Anforderungen, Use Cases und Randbedingungen des Systems aus Sicht der unterschiedlichen Stakeholder. Sie sind Input für die funktionale Analyse auf Systemebene.  

2. Funktionale Analyse

Verfeinerung der identifizierten Use Cases und Anforderungen mittels Aktivitätsdiagrammen. Als Resultat entstehen Systemfunktionen zur Realisierung von Stakeholder-Anforderungen. Diese werden anschließend in Teilfunktionen heruntergebrochen, in eine hierarchische Beziehung gebracht und durch Anforderungen weiter spezifiziert.

3. Strukturelle Analyse

Definition der notwendigen Systemkomponenten zur Realisierung der Systemfunktionen sowie Festlegung ihrer hierarchischen Beziehung. Die Blackbox wird so zu einer Whitebox.

4. Funktions-Komponenten-Allokation & Schnittstellenspezifizierung

Allokation der Funktionen auf die Komponenten. Eine Funktion ist eine Umwandlung von Inputs zu Outputs. Mit der Funktions-Allokation auf eine Komponente wird deutlich, welche Inputs und welche Outputs eine Komponente benötigt bzw. erzeugt. Dies ist die Basis für die Schnittstellendefinition.   

5. Umsetzungsplan (Tests und Releases)

Planung von Tests und Releases zur Sicherstellung der Einhaltung geforderter Termine und Qualität. Durch die klare Schnittstellendefinition ist es nun möglich, Anforderungen und Arbeitsaufträge gut abzugrenzen und den verschiedenen Komponenten Teams zuzuweisen. Außerdem sind die Anforderungen die Grundlage für die Erstellung der Testspezifikation der Tester. Dashboard- und Reporting-Funktionen der ALM-Software geben dabei ein transparentes Bild über den Bearbeitungszustand sämtlicher Arbeit für ein Release.

Die Schritte der Methode können iterativ durchlaufen werden, da Erkenntnisse aus späteren Schritten vorherige Schritte beeinflussen können. Insbesondere die Schritte zwei bis vier werden so lange wiederholt, bis das System strukturell und funktional ausreichend heruntergebrochen und spezifiziert ist, sodass Entwicklungsaufträge zur Implementierung und zum Testen der Funktion festgelegt werden können. 

Fazit

Modellbasiertes Systems Engineering mit einem funktionsorientierten Vorgehen reduziert Fehler und minimiert den Abstimmungsaufwand in der Produktentwicklung. Auf diese Weise steigert es maßgeblich die Entwicklungseffizienz.

Zur Lösung der anfangs genannten Herausforderung hilft ein zentrales, digitales Systemmodell als Single Source of Truth. Dies sorgt für Konsistenz, Transparenz und eine nahtlose Zusammenarbeit über alle Disziplinen hinweg. Durch den Einsatz grafischer Diagramme werden Systemfunktionen klarer spezifiziert und damit Missverständnisse reduziert. Dank digitaler Verlinkung sind Anforderungen, Funktionen und Testfälle nahtlos und nachvollziehbar miteinander verknüpft – so gehört das Rätselraten über gültige Spezifikationen der Vergangenheit an.

Die 5 Schritte der Methode geben Ihnen einen Vorgehensmodell – aber wie setzen Sie die Methode toolunterstützt um? 

Erfahren Sie anhand eines konkreten Beispiels, wie die fünf Schritte der Methode in der ALM – Software objectiF RPM umgesetzt werden können.

Laden sie jetzt unser kostenloses Whitepaper unter folgendem Link herunter:
https://www.sva.de/de/whitepaper/mehr-effizienz-der-produktentwicklung