Datenvisualisierung für alle?
Als visuelle Wesen können wir Menschen Unterschiede und Besonderheiten in Daten blitzschnell über unser Auge erkennen, wenn sie entsprechend grafisch aufbereitet wurden. Die Identifikation spezifischer Datenmerkmale in einfacher Tabellenform kann indessen wesentlich herausfordernder und langwieriger sein.
Wenn Daten in Dashboards visualisiert werden, möchten wir, dass diese möglichst von allen Menschen in der entsprechenden Zielgruppe gesehen, verstanden und erlebt werden können. Ein sowohl verständliches als auch nutzerfreundliches und ansprechendes Design zahlt definitiv auf dieses Ziel ein, ist aber eine Kunst für sich.
Oftmals vergessen wir allerdings insbesondere den Teil unserer Zielgruppe zu berücksichtigen, welcher vielleicht eine Sehbeeinträchtigung oder motorische Einschränkungen aufweist, die das Lesen und eine Interaktion mit den Daten im Dashboard behindert.
So wird das allseits beliebte Ampelsystem auf einem KPI-Dashboard für Menschen mit Rot-Grün-Sehschwäche zu einer Herausforderung. Oder Informationen in Grafiken werden von Blinden erst gar nicht wahrgenommen, weil diese nicht über assistierende Technologien ausgelesen werden. Auch die Navigation oder die Anwendung von Filtern in Dashboards kann Probleme bereiten, wenn Menschen aufgrund einer permanenten oder auch nur temporären motorischen Einschränkung auf eine Tastatursteuerung angewiesen sind. Schon aus Gründen der Inklusion und der Reichweitenerhöhung ist das Thema digitale Barrierefreiheit daher wichtig und sollte bei der Anwendung von Business-Intelligence-Tools mehr Beachtung finden.
Barrierefreiheitsstärkungsgesetz – gesetzliche Grundlage zur Inklusion
Neben oben genannten Gründen gibt es aber auch noch konkrete Gesetze, welche die Barrierefreiheit bei digitalen Anwendungen regeln.
Mit dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) sowie dem Behindertengleichstellungsgesetzt (BGG) wurden die gesetzlichen Grundlagen geschaffen, welche Menschen mit Behinderungen einen uneingeschränkten Zugang zum Internet und digitalen Anwendungen ermöglichen sollen.
Die verbindlichen Anforderungen zur Barrierefreiheit für Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT)-Produkte bzw. -Dienste werden im BGG durch die Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV) geregelt, welche sich auf die europäische Norm EN 301549 beruft. Diese wiederum orientiert sich an den Web Content Accessibility Guidelines (WCAG), den Richtlinien, die als internationaler Standard für die barrierefreie Gestaltung von Web-Anwendungen und deren Inhalt angesehen werden.
Die vier Prinzipien der digitalen Barrierefreiheit
Grundsätzlich beinhalten die Vorgaben vier Prinzipien zur digitalen Barrierefreiheit, auf welche auch in Business-Intelligence-Projekten geachtet werden muss.
Wahrnehmbarkeit: Informationen und Bestandteile der Anwendung müssen den Benutzer:innen so präsentiert werden, dass diese sie wahrnehmen können.
Bedienbarkeit: Interaktive Bestandteile und die Navigation in der Anwendung müssen bedienbar sein.
Verständlichkeit: Die Informationen und die Bedienung der Anwendung müssen verständlich sein.
Robustheit: Die Inhalte müssen robust genug sein, um mit assistierenden Technologien, wie z.B. Bildschirmlesesoftware, interpretiert werden zu können.
Wer prüft die digitale Barrierefreiheit?
In Deutschland bietet die BITV den BITV-Test, ein Verfahren zur umfassenden und zuverlässigen Prüfung der Barrierefreiheit von Webseiten und Webanwendungen an. Hierbei kann der Test durch BITV-Test Prüfstellen (kostenpflichtig) oder alternativ eine BITV-Selbstbewertung (kostenfrei) durchgeführt werden.
Bei der Prüfung kommen u.a. Werkzeuge wie Browser-Erweiterungen, Screenreader oder Farbkontrastprüfungstools zum Einsatz.
Wer sich umfänglich und individuell informieren möchte, kann auch an einem kostenpflichtigen Workshop zum Thema Barrierefreiheit bei der BITV teilnehmen.
Datenvisualisierung mit Tableau
Aktuell stellen Power BI, Tableau und Qlik die Big Player unter den Business-Intelligence-Tools dar (siehe Magic Quadrant for Analytics and Business Intelligence Platforms 2023). Alle drei Hersteller haben sich mit dem Thema digitale Barrierefreiheit auseinandergesetzt und führen entsprechende Maßnahmen an ihren Produkten durch bzw. bieten Hilfestellungen für Anwender:innen bei der Datenvisualisierung an. Wie sich das konkret gestaltet, können wir uns am Beispiel von Tableau nachfolgend genauer anschauen:
Tableau optimiert kontinuierlich die Barrierefreiheit der Produkte und lässt diese regelmäßig durch ein unabhängiges Beratungsunternehmen (Equal Entry LLC) überprüfen. Die Ergebnisse aus diesen Tests können in einem offiziellen Dokument, dem Voluntary Product Accessibility Template (VPAT) nachgelesen werden. Getestet wird hierbei der Zugriff auf Dashboards und Ansichten, welche auf Tableau Cloud oder -Server veröffentlich sind und mit Viewer-Berechtigung aufgerufen werden können.
Die letzte Prüfung erfolgte 2022 mit den Tableau Cloud und – Server Versionen 2022.2. Getestet wurden verschiedene Benutzerszenarien, welche von Equal Entry in Zusammenarbeit mit Salesforce extra für diesen Zweck ausgearbeitet wurden:
- Ein Login-Szenario, bei dem das Passwort zurückgesetzt werden soll.
- Ein Szenario, bei dem es die Navigation der Betrachter:innen auf der allgemeinen Benutzeroberfläche von Tableau Cloud und Tableau Server im Fokus steht.
- Ein Szenario, welches sich auf die Funktionalitäten der Tableau Symbolleiste in Bezug auf benutzerdefinierte Ansichten, das Teilen und Abonnieren fokussiert.
- Ein Szenario, welches die Funktionalität der Tableau Toolbar bezüglich Downloads und Vollbildmodus testen soll.
- Ein Szenario, bei dem die Tableau Symbolleiste hinsichtlich ihrer Funktionalität für Kommentare und Metriken geprüft wird.
Die Untersuchung zeigte, dass alle anwendbaren Erfolgskriterien für barrierefreie Web-Anwendungen bei oben genannten Szenarien ganz oder teilweise unterstützt werden.
So wird z.B. durchgehend ein visueller Fokusindikator verwendet, um die Navigation und das Verständnis bedienbarer Benutzeroberflächen zu erleichtern. Hierbei wird der aktuelle Zustand des Tastaturfokus auf eine bestimmte bedienbare Komponente visuell dargestellt. Z.B. wird das Sternchen in der Symbolleiste für die Funktion „Zu Favoriten hinzufügen“ durch einen blauen Rahmen farblich hervorgehoben. Auf diese Weise wird dem Benutzer verdeutlicht, wo er sich gerade befindet, und eine motorisch eingeschränkte Person kann durch Drücken einer Kombination von Tabulator- und Pfeiltasten zur gewünschten Schaltfläche gelangen.
Optimierungsmöglichkeiten gab es zum Zeitpunkt der letzten Prüfung noch u.a. bei den Farbkontrastanforderungen, welche z.B. bei der Schaltfläche „Kennwort vergessen?“ mit orange auf weißem Hintergrund nicht den Vorgaben entsprachen. Ebenso war die „Kennwort vergessen?“-Navigationskomponente nicht per Tastatur ansteuerbar. Diese sowie andere kleinere Kritikpunkte scheinen aber mittlerweile bereits behoben worden zu sein.
Details des aktuellen VPATs sowie nützliche Ressourcen zum Thema barrierefreie Tableau Dashboards findet man im Community-Forum von Tableau: FAQ: Barrierefreiheit. Neben den technischen Voraussetzungen zur Barrierefreiheit, um die sich Tableau selbst kümmert, gilt es auch, die Vorgaben zur digitalen Barrierefreiheit bei der Erstellung von Ansichten und Dashboards einzuhalten, wofür nun wiederum die Ersteller:innen selbst verantwortlich sind.
Die vier Prinzipien der Barrierefreiheit beim Tableau Dashboard Design
Um barrierefreie Ansichten und Dashboards mit Tableau zu erstellen, sollten auch hier die vier Prinzipien der Barrierefreiheit angewendet werden.
Wahrnehmbarkeit
Dies ist eines der zentralen Prinzipien bei einem visuellen BI-Tool wie Tableau. Hier gilt es vor allem folgende Punkte zu beachten:
- Grafische Inhalte benötigen eine textliche Alternative, die demselben Zweck dient.
- Verwendung von barrierefreien Farbpaletten und/oder
- Verwendung von Alternativen zur Farbe, um Informationen hervorzuheben, wie
- Texturen und Muster
- Symbole und Icons
- Vermeidung von problematischen Farbkombinationen (z.B. rot und grün)
- Kontrasterhöhung
- Einsatz kontrastreicher Farbkombinationen
- Ggf. monochromatisches Design (muss nicht schwarz-weiß bedeuten!)
- Auf einen ausreichenden Kontrast zwischen Textelementen im Hintergrund achten.
- Minimalistisches Design, um unnötige Verwirrung zu vermeiden.
Bedienbarkeit
Dashboards sollten mit der Tastatur bedienbar sein. Dazu benötigen alle interaktiven Elemente wie Visualisierungen, Filter und Legenden einen selbsterklärenden Titel sowie eine Beschriftung, aus der hervorgeht, wie die Elemente bedient werden können.
Verständlichkeit
Die auf dem Dashboard angezeigten Informationen müssen zusätzlich in Textform beschrieben werden und sollten in einer logischen Reihenfolge strukturiert sein.
Robustheit
Dashboards müssen mit assistierenden Technologien wie z.B. einer Bildschirmlesesoftware interpretiert werden können.
Fazit: Lösungen zur barrierefreien Digitalisierung
Datenvisualisierungs- und analyse-Tools stellen das moderne Werkzeug für Geschäftsleute und Controller dar, um datengetriebene Entscheidungen zu treffen. Doch auch für jede andere Person, die sich mit Daten beruflich oder auch privat näher beschäftigen möchte, können diese digitalen Anwendungen eine absolute Bereicherung sein. Oft wird bei der Datenvisualisierung jedoch die Zielgruppe nicht ganzheitlich betrachtet. So bleibt ein sonst mit hervorragend aufbereiteten Daten und nützlichen Analysen konzipiertes Dashboard dann doch eher „exklusiv“. Jeder, der Dashboards entwickelt, ist selbst dafür verantwortlich, diese möglichst allen Nutzer:innen zugänglich zu machen. Hält man sich an die vier Prinzipien der digitalen Barrierefreiheit mit einer logischen Struktur und einem minimalistischen Design, wird jeder Nutzer davon profitieren, ungeachtet seiner Fähigkeiten.