Weiter geht es mit unserer vierteiligen Serie ‚EAM trifft…‘. Im zweiten Teil geben wir Ihnen einen Überblick darüber, wie Industrial IoT-Lösungen heute genutzt werden, um die traditionell reaktiven und präventiven Instandhaltungstätigkeiten um smarte zustands- und datengestützte Aktivitäten zu erweitern.
Was ist ‚reaktive‘ Instandhaltung?
„Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“ oder „Ober sticht unter“ – Binsenweisheiten wie diese finden sich auch im Tagesgeschäft der Instandhaltung. Die Ad-hoc-Beseitigung unerwartet auftretender Störungen unter nicht klar definierten Prioritäten gehört in vielen Instandhaltungsbereichen zur vorherrschenden Praxis. Entstörung im industriellen Kontext ist nur schwer planbar, die Effizienz der Maßnahmen basiert zudem auf dem ‚Herrschaftswissen‘ weniger älterer und besonders erfahrener Techniker. Hohe Wege- und Suchzeiten sowie lange Wartezeiten für benötigte Ersatzteile und Materialien sind die Folge eines niedrigen Planungsgrades der Instandhaltung.
Die reaktive Instandhaltung hat dennoch ihre Berechtigung als Strategie, wenn sie klaren Rahmenbedingungen wie Kritikalität, Risikoeinstufung und Priorität unterliegt und weniger dringliche Angelegenheiten somit ‚planbar‘ gemacht werden können.
Was ist ‚präventive‘ Instandhaltung?
Präventiv bedeutet ‚vorbeugend‘ und meint, dass Wartungsarbeiten in regelmäßig wiederkehrenden Intervallen zur Vermeidung von Verschleißschäden sowie zum Erhalt und zur Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit technischer Anlagen und Einrichtungen durchgeführt werden. Vorbeugende Tätigkeiten werden nach bestimmten zeitlichen Zyklen (z. B. Tage, Wochen, Monate, Jahre) und/oder über durch Zähler messbaren Ereignisse ausgelöst (z. B. Betriebsstunden, gefahrene Kilometer).
Präventive Wartungsmaßnahmen erleichtern durch einen vordefinierten kalendarischen Auslöse- und Durchführungszyklus die Planung von Aufgaben, die rechtzeitige Ressourcenbereitstellung sowie die interne Terminkoordination signifikant. Der größte Nachteil präventiver Maßnahmen ist jedoch die Terminfixierung: Maßnahmen werden deshalb eingeplant, weil sie schon immer Bestandteil in den Wartungsplänen von Unternehmen waren. Maßnahmen und sehr eng gefasste Fristen werden häufig durch die Hersteller technischer Anlagen vorgegeben und nach Ablauf der Garantiezeit durch die Instandhaltung nicht mehr auf das unbedingt Erforderliche angepasst! Die starre Fixierung führt zur teuren ‚Über-Wartung‘ mit unnötigen Stillstandzeiten und erhöhtem Aufwand. Das gilt besonders für Arbeitsleistung und den Ersatzteil- und Materialeinsatz.
Die ‚unflexible‘ präventive Instandhaltung hat dennoch ihre Berechtigung als Strategie, da vielfach behördliche Auflagen die Inspektionen und Regelwartungen nach Kalenderintervall vorschreiben (z. B. KFZ-Hauptuntersuchung, UVV- und DGUV-Prüfungen). Dazu gehören auch interne Qualitäts- und Arbeitssicherheitsvorgaben, die zwingend durchzuführen sind.
Aber zurück zum eigentlichen Thema: Geht es mit all den neuen Industrie 4.0-Technologien nicht auch ein wenig smarter? Wie kann das Industrial Internet of Things (IIoT) bei der Planung und Durchführung von Instandhaltungsaktivitäten unterstützen?
Was ist das Industrial Internet of Things?
IIoT ist die Bezeichnung für die Zusammenfassung und Vernetzung aller steuerbaren Antriebe und Regler sowie Sensoren und Fühler in Anlagen und Einrichtungen. Das Ziel von IIoT ist es, Zustände und Funktionen von Anlagen den Produktions- und Instandhaltungsbereichen ‚als Service‘ zur Verfügung zu stellen. Die meisten Produktionsanlagen verfügen heute schon über eine Vielzahl von Sensoren, welche jedoch häufig in der Fertigungs-Steuerungsebene (MES) gefangen sind und nicht einfach für weitere Prozesse genutzt werden können.
Sensordaten spielen heute in der dynamischen Steuerung von Fertigungsprozessen eine entscheidende Rolle. Diese sollen aber auch zunehmend von Anwendungen in der Peripherie von Unternehmen genutzt werden, um echte unternehmensübergreifende Industry-4.0- und Smart-Factory-Konzepte zu ermöglichen. Die Instandhaltung und der technische Service gehören zu diesen Sekundärprozessen und werden zukünftig deutlich von den wachsenden Möglichkeiten des IIoT profitieren.Grundsätzlich existieren zwei unterschiedliche Typen der Sensorik für eine Vielzahl von Anwendungsfällen:
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- Kabelgebundene Sensoren, die heute weitgehend in die Anlagenautomatisierung integriert sind. Sensordaten aus der Prozessautomatisierung werden heute über multiprotokollfähige Schnittstellenwerkzeuge (z. B. der OPC-UA-fähigen SVA Factory Data Bridge) an Massendaten-taugliche Systeme bzw. IoT-Plattformen übertragen, auf denen Standard-Services für Datenspeicherung, Analytics- und KI-Komponenten sowie Performance-Dashboards zur Verfügung gestellt werden.
- Drahtlose Sensor-Kommunikationseinheiten, diese basieren auf unterschiedlichen Funktechnologien sind batteriebetrieben oder zunehmend komplett energieautarke ‚Devices‘.Autarke Sensorik findet vor allem Anwendung in der Nachrüstung (Retrofit) von älteren Anlagen und Baugruppen, welche nicht mit einem vertretbaren finanziellen Aufwand zu vernetzen sind. Hierbei sei angemerkt, dass heutige drahtlose und energieautarke Technologien keine Übertragung von Massendaten in Echtzeit ermöglichen, sondern auf langfristige Übertragung limitierter Datenmengen in definierten Zeitintervallen ausgelegt sind.
IIoT dient also zunächst der Sammlung und Übertragung von Prozess- und Zustandsdaten. Die wesentliche Herausforderung für die Instandhaltungsbereiche liegt somit im Auffinden von brauchbaren Informationen und der Ermittlung von Anomalien und Prozess-Ausreißern innerhalb großer Datenmengen (Data Lake). Zielsetzung der Nutzung von Sensordaten für die Instandhaltung ist die Fähigkeit zur Zustandsüberwachung prozesskritischer Anlagen und Baugruppen – und zwar mit Hilfe einer dynamischen Ermittlung des Inspektions- und Instandhaltungsbedarfs über eine Grenzwerterfassung.
Was ist ‚zustandsorientierte‘ Instandhaltung?
Als preisgünstige und effiziente Alternative zur vorbeugenden Wartung können zustandsabhängige Prozesse etabliert werden, die prinzipiell dieselben Arbeitsverfahren verwenden. Hier bietet eine IoT-gestützte Integration der Anlagenautomatisierung bzw. nachgerüsteter Sensorik der Instandhaltung große Vorteile. Zeitreihenauswertungen können bei Über- oder Unterschreiten von Grenz- und Zustandswerten automatisiert Inspektionen und periodische Wartungsaktivitäten ‚zwangs-fällig‘ machen bzw. auslösen. Eine Analytics-gestützte Anomalie-Erkennung kann auf die Verschlechterung der Anlagenzustände hinweisen, was grafisch auf Instandhaltungs-Dashboards zur Anlagenperformance visualisiert werden kann. Vordefinierte Wartungs- oder Inspektions-Prozesse können so erst dann ausgelöst werden, wenn sie wirklich erforderlich sind.
Was ist ‚vorausschauende‘ Instandhaltung?
Als logische Erweiterung der IIoT-gestützten Zustandsüberwachung bietet sich heute das Verfahren zur modellbasierten, vorausschauenden Instandhaltung an (Predictive Maintenance). Diese nutzt neben den IIoT-Echtzeit-Daten aus dem Anlagenbetrieb auch die historischen Informationen verfügbarer EAM- und Instandhaltungs-Management-Lösungen (z. B. IBM Maximo) sowie weitere externe Datenquellen wie z. B. Wetterdienste oder Verkehrsmeldungen.
Trainierbare mathematische Modelle ermitteln aus der Fülle dieser Daten Trends, mögliche Ausfalltermine und -wahrscheinlichkeiten, basierend auf bekannten oder über Zeitreihenbetrachtung ermittelte Verhaltens- und Ausfallmuster im Lebenszyklus der Anlagen. Zukünftige Ausfälle können mit Zeitraum und Ausfallwahrscheinlichkeit sehr gut vorhergesagt werden, wodurch Instandhaltungsaktivitäten rechtzeitig eingeplant werden können.
Herausforderungen durch IIoT
Zum Abschluss noch ein paar Hinweise für Unternehmensbereiche, die sich mit IoT-Projekten befassen. Die heutigen technischen Möglichkeiten, mit Hilfe von IT-gestützten Lösungen Daten aus Anlagen aller Art zu gewinnen, diese zu vertretbaren Kosten zu speichern und sinnvoll auszuwerten, erfordert einen signifikant höheren Grad der Zusammenarbeit der Abteilungen in den Unternehmen. IIoT und ‚Smart Factory‘ sind unternehmensübergreifende Themen, bei denen Betrieb, Instandhaltung und IT zwingend kooperieren müssen:
- IIoT-Projekte zur Unterstützung der Instandhaltungsprozesse sind immer noch keine Selbstläufer im Unternehmen. Sie benötigen neben einem operativen Nutzen (Use Case) stets einen belastbaren Business-Case, was eine End-to-End-Betrachtung und Kalkulation über alle betroffenen oder beteiligten Abteilungen hinweg erforderlich macht.
- Die Ausweitung der Integrationsmöglichkeiten stellt erhebliche zusätzliche Anforderungen an die Unternehmens-IT bezüglich Speicherung von Massendaten, Vernetzung, Systemintegration, Sensordaten-Verarbeitung und IT-Security.
- Die Instandhaltungsbereiche müssen sich zwingend professionalisieren. Die zunehmende Dynamisierung der bisher statischen Wartungsplanung ist für den Planungsgrad der Instandhaltung organisatorisch herausfordernd. Die Einplanung von Instandhaltungsmaßnahmen erfordert zudem eine immer stärkere Abstimmung zwischen Fertigungsplanung und Arbeitsvorbereitung in der Instandhaltung.
Fazit
IIoT ermöglicht die Implementierung ‚smarter‘ ressourcensparender, zustandsorientierter und vorausschauender Instandhaltungsprozesse. Über die Echtzeit-Zustandsinformationen unmittelbar aus den Anlagen und Einrichtungen heraus können teure störungsbedingte Stillstände vermieden oder zumindest verringert werden, da sich viele Anlagenausfälle über einen Zeitraum hinweg mess- und hörbar entwickeln.
Wartungs- und Instandsetzungsarbeiten werden folglich also nur noch dann ausgelöst, wenn es aus prozess- und anlagentechnischer Sicht bzw. zur Einhaltung von Qualitäts-Management und Compliance-Vorgaben erforderlich ist. Durch die Vorhersage von möglichen Ausfällen bzw. die Einordnung und Priorisierung der Ausfallwahrscheinlichkeit in einem bestimmten Zeitraum können zukünftige Wartungstermine dynamisch angepasst oder umfangreichere Maßnahmen rechtzeitig in die verfügbaren Wartungsfenster eingeplant werden.
Die neuen Möglichkeiten zur Daten- und Prozessintegration müssen deutliche Auswirkungen auf die Flexibilisierung der Instandhaltungsorganisationen haben, um die positiven Effekte von IIoT auch bereichsübergreifend nutzen zu können. Voraussetzung hierfür ist ein höherer Grad an Koordination zwischen den unterschiedlichen Bereichen eines Unternehmens sowie die Bereitschaft, althergebrachte (starre) Instandhaltungsverfahren dynamisch an den Zustand der Anlagen anzupassen.