Process Mining ist einer der modernsten und vielversprechendsten Hebel zur zukunftsgerechten Gestaltung betrieblicher Abläufe. Im Enterprise Service Management (ESM) bleibt es bislang allerdings weitestgehend unbeachtet, obwohl das ESM den gesamtunternehmerischen Servicegedanken fokussiert und optimiert. Prozessbrüche und Optimierungsmöglichkeiten bleiben so ungesehen.
Enterprise Service Management – Ideale Basis für Process Mining
ESM-Umgebungen haben oftmals eines gemeinsam: Sie sind gewachsene Systeme. Im Verlauf der Professionalisierung und Erweiterung der Software-Applikationen erhielten die Umgebungen durch End-User Computing, Configuration Management Database und Discovery-Tools eine logische Ergänzung. Zudem sollten Prozesse aus Human Resources, Facility-Management, Marketing und Sales Stück für Stück im Service Management abgebildet werden. So erweitern mittlerweile viele weitere Prozessdisziplinen die ESM-Umgebung.
Durch den frühen Einzug des De-facto-Standards und Best-Practice-Leitfadens ITIL wurden ESM- und ITSM-Applikationen ein fester Bestandteil in Unternehmen. Die in ITIL enthaltene System-Standardisierung und Entwicklungssynchronität bieten gemeinsam mit den Datenbanken der Service-Management-Applikationen gut aufbereitete Datensätze. Schließlich wurden über viele Jahre hinweg Daten entlang der Value Streams und Praktiken protokolliert und strukturiert. So liefern sie die ideale Datenbasis für eine weiterführende Nutzung im Process Mining.
Herausforderungen durch Wissen begegnen
Während das ESM für Process Mining eine gute Basis bildet, unterstützt Process Mining dieses im Gegenzug bei einer wichtigen Herausforderung: Der Einsicht in Wertströme und -ketten. Seit ITIL4 liegt darauf ein besonderer Fokus. Dabei betrachtet ITIL4 sowohl Kontakte im Unternehmen als auch bei Kunden, mit Providern oder Lieferanten. Diese Handlungen gemeinsam im Zusammenspiel mit Praktiken, Prozessen und Services zu identifizieren, ist eine komplexe Aufgabe. Process Mining bietet Unternehmen hier die Möglichkeit, Prozesse tiefgehend zu analysieren und basierend darauf zu optimieren.
Reale Prozesse auf Basis unverfälschter Daten
Process Mining entfaltet sein Potenzial bei der Betrachtung der in den Fokus gerückten Wertketten. Einerseits schärft es als analytische Komponente den nötigen Blick auf End-2-End-Value-Streams, in dem es die Prozessdaten aus den ESM-Tools abbildet. Andererseits stellt Process Mining als technologisches Element das Bindeglied in fragmentierten ESM-Landschaften dar. Da Process Mining den operativen Werkzeugen gegenüber einer übergeordneten Position besitzt, kann es die nötigen Daten aus den Anwendungen konsolidieren und sie als Gesamtbild präsentieren. Dadurch kann das „strategische Potenzial“ der historisch gewachsenen Datentöpfe übersichtlich dargestellt werden, sodass sie im ESM- und ITIL4-Verständnis zu Value Chains und -Streams klar zur Geltung kommen.
Enterprise Service Management & Process Mining – Gemeinsam stark
Produkte aus dem ESM-Umfeld sorgen meist allein durch ihren Aufbau für ein geordnetes Berichtswesen, welches kennzahlenbasierte Bewertungen und Perspektiven auf spezifische Prozessdisziplinen und Funktionen erlaubt. Jedoch kann Process Mining die ESM-Lösung in vielen Punkten ergänzen, sodass eine gemeinschaftliche Nutzung die Mehrwerte beider Welten intensiviert.
ESM eignet sich als Startpunkt für Process Mining, denn es:
- fokussiert die technische Realisierung
- hat die Hoheit über die Abbildung der Serviceprozesse
- ist zentrales Element in der ESM-Architektur
- sorgt für die reibungslose operative Abwicklung
- erlaubt die Falluntersuchung durch Berichte und Dashboards
- hilft bei der reaktiven Entwicklung
Process Mining ergänzt darüber hinaus:
- den Fokus auf die betrieblichen Abläufe
- das Überwinden der Silo-Grenzen
- die Unterstützung bei der strategischen Weiterentwicklung
- das Aufzeigen der Änderungen im Value-Stream in Echtzeit
- die Hilfe bei der Entdeckung und dem Verständnis der Value Streams
- das Widerspiegeln und Vergleichen der gelebten Serviceprozesse
- das Aufzeigen von Engpässen und deren Ursachen
- die Möglichkeit für eine proaktive Entwicklung
- die Möglichkeit zur Auditierbarkeit und Compliance-Überwachung von Prozessen
- die Wegbereitung für Zukunftstechnologien wie Robotic Process Automation (RPA) oder Artificial Intelligence (AI) auf Basis von Wertströmen
Strategische Einsichten mit Process Mining
Die Echtzeitbetrachtung der verschiedenen Ansichten des Process Mining und der ESM-Lösung helfen Unternehmen, Erkenntnisse über den tatsächlichen Wert ihrer Servicebemühungen zu gewinnen. Ebenso liefern sie wertvolle Informationen, die für das Verständnis der Wertströme und -ketten essenziell sind. Dadurch wird ein größeres Verständnis für Unternehmensprozesse als auch deren Verbesserung erreicht. Mit dem Ziel, die Servicequalität zu steigern, erfolgt die Analyse systemübergreifend. So können zusätzlich die Kundenzufriedenheit gesteigert und die Kosten gesenkt werden.
Große Vorabanalysen, das Wälzen von vermeintlich aktueller IST-Dokumentation und das Durchführen von Workshops oder Arbeitskreisen zählen damit zu Maßnahmen der Vergangenheit – dies wird mit Process Mining effektiver und effizienter in der einmaligen, korrekten Durchführung. Process Mining ist für ESM-Umgebungen und weiterführende Konzepte, wie ERP- oder CRM-Systeme, eine starke Ergänzung und kann die gesamte ESM-Strategieentwicklung auf ein neues Level heben.
Process Mining als taktische Maßnahme
Ein weiterer Mehrwert der Integration von Process Mining in die ESM-Unternehmensabläufe ist, dass die Prüfung der ESM-Umgebung auch als Grundlage für Wissensmanagement-Modelle, z.B. das Cynefin-Framework herangezogen werden kann. Das Rahmenwerk ist hierzulande bislang nicht sehr bekannt und verbreitet, rückt allerdings durch den Einzug von ITIL4 vermehrt in den Vordergrund. Insbesondere bei komplexen Verhältnissen oder in Krisensituationen, aber auch für die Unternehmensstrategie und Security- oder Compliance-Aspekte kann Process Mining daher ad hoc zurate gezogen werden, um einen tiefergehenden Einblick in vorhandene Strukturen zu erlangen.
Fazit
Erst mithilfe von Process Mining können Ansätze von Zukunftstechnologien auf Wertströme zielgenau und minimalinvasiv angewendet werden. Dies liegt daran, dass es die Erkenntnis liefert, wie Technologien, beispielsweise Artifical Intelligence, Intelligent Document Processing oder Robotic Process Automation, sinnhaft und nachhaltig in die Unternehmensabläufe eingesetzt werden können.
Wie in ITIL4 beschrieben, wird die tatsächliche Realisierung einer High Velocity IT erst durch einen Blick auf Value Streams möglich, für das Process Mining das passende Werkzeug ist. Folglich kann man Process Mining als Treiber der gemeinsamen Entwicklung von ITIL und Enterprise Service Management sehen.
Damit ist Process Mining nicht nur ein Impulsgeber, sondern sogar ein wesentliches Element der Unternehmenstransformation. So können Daten und Arbeitsabläufe nicht nur anzeigt und analysiert, sondern auch die Beschäftigten in Ihrem Unternehmen dazu motivieren werden, gemäß Co-Creation nach ITIL4 zusammenzuarbeiten und so das eigene Unternehmen intelligent zu transformieren.
Sicherlich profitieren auch andere Unternehmensbereiche von Process Mining, aber auch Stolpersteine auf dem Weg zu einer erfolgreichen Einbindung. Ich freue mich darüber, von Ihren Erfahrungen zu hören und bin gespannt auf Ihre Meinung. Treten Sie gerne mit mir in Kontakt!
Hinweis: Dieser Artikel ist bereits im März 2022 im itSMF-Magzin Nr. 59 erschienen und wurde für den Blog Focus On IT angepasst.