Oft wirkt es auf den ersten Blick aufwendig, komplexe Abläufe zu automatisieren. Vor allem wenn dabei viele Schritte und Entscheidungspfade durchlaufen werden müssen. Setzt man einen Prozess direkt mit einer Vollautomatisierung um, kann das Ergebnis oft mehr Hürden als Vorteile mit sich bringen. Durch Änderungen oder Ausnahmen können unerwartet hohe Aufwände entstehen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass es in vielen Fällen effektiver ist, iterativ vorzugehen, als einen komplexen Prozess mit allen gegebenen Anforderungen direkt vollständig umzusetzen.
Prozessautomatisierung: Wann und was automatisieren?
Automatisierung ist besonders dann sinnvoll, wenn ein Ablauf immer gleich ist. Gleichzeitig gilt: Je mehr man automatisiert, desto mehr ist man an den definierten Prozess gebunden. Gibt es Ausnahmen, kann es aufwendig sein, diese mit in den Prozess einzubinden. Je mehr ein Prozess um Ausnahmen erweitert wird, desto komplexer und fehleranfälliger wird er. Anstatt jede Ausnahme zu automatisieren, kann es daher sinnvoll sein, den Prozess grundlegend zu überdenken: Vielleicht ist es möglich, einen Zwischenschritt doch lieber durch manuelle Arbeitsanweisungen zu ersetzen? Dann kann je nach Fall entschieden werden, was passieren muss: Ausnahmen sind erlaubt.
Beispiel: Der Hardware-Bestellprozess
Betrachten wir als Beispiel einen Hardware-Bestellprozess. Wird ein Notebook bestellt, so soll das Hardware-Management ein Notebook aus dem Bestand installieren und ausliefern. Dieser Prozess lässt sich mit Service-Management-Tools automatisieren.
Gehen wir zuerst von der Entwicklung eines vollumfänglich automatisierten Prozesses aus, der selbstständig entscheidet, welches Gerät vom Lager verwendet werden soll. Ein Name wird generiert, das Gerät wird im Endpoint Management und im Active Directory angelegt und basierend auf der Abteilung des Empfängers wird vordefinierte Standardsoftware für die automatisierte Installation zugewiesen. Eine Arbeitskraft des Hardware-Managements bekommt die Aufgabe, das gewünschte Gerät per Netzwerk an die Installationsstraße anzuschließen, damit Windows und die zugewiesene Standardsoftware installiert wird. Ist der Vorgang fertig, wird das Gerät ausgeliefert.
Nach einer langen Entwicklungszeit wird der Prozess produktiv geschaltet. Allerdings kommen nach kurzer Zeit weitere Anforderungen auf:
Anforderung 1: Ist kein Gerät mehr auf Lager, so muss ein neues bestellt werden.
- Dies lässt sich im Beispielprozess vor der automatisierten Anlage des Geräts umsetzen.
Anforderung 2: Wurde eine Bestellung fälschlicherweise aufgegeben, soll es möglich sein, diese abzubrechen.
- Hierfür muss der Prozess so erweitert werden, dass das angelegte Gerät im Active Directory gelöscht, im Endpoint Management umbenannt und dem Lager wieder zugewiesen wird.
Anforderung 3: Philipp, unser IT-Mitarbeiter für die Bereitstellung von Endgeräten, muss oft lange suchen, um das vom Prozess ausgewiesen Gerät zu finden. Manchmal wird das Gerät gar nicht gefunden oder es wird das falsche Gerät für eine Bestellung verwendet und ausgeliefert.
- Es ist häufig manuelle Nacharbeit notwendig, wenn eine Bestellung falsch verarbeitet wurde. Wir stoßen an die Grenzen unseres Prozesses und müssen diesen ggf. komplett überarbeiten.
Exkurs: Wie Ausnahmen vermieden werden können
Komplexe Prozesse einfach umsetzen: Großes in Kleines unterteilen
Insbesondere komplexe Prozesse können meist in einzelne Teilschritte zerlegt werden. Aus diesen lassen sich Bausteine erstellen, die bei Bedarf oder Veränderung modular ersetzt, erweitert oder gar weggelassen werden können. Auch für das Verständnis eines Ablaufs ist diese Unterteilung von Vorteil: Nach dem erfolgreichen Abschluss von Schritt 1 folgt Schritt 2. So kann den aktuellen Fortschritt visualisieren, damit Anwender sehen können, wie weit die Bereitstellung einer Bestellung ist.
Keep it simple
Die Entwicklung eines einfachen Prototyps mit Platzhaltern oder Anweisungen für manuelle Arbeitsschritte kann ein erstes Grundverständnis für den Ablauf vermitteln. Durch iterative Entwicklung des Prozesses auf Basis von Feedback der Anwender:innen kann der Prozess ausgefeilt werden. Oftmals offenbaren sich hierdurch Aspekte, die anfangs nicht betrachtet wurden. Mit dem erlangten Wissen lässt sich dann eine einfache erste Version umsetzen, in der vielleicht noch nicht alle Schritte automatisiert sind, sondern noch manuell bearbeitet werden.
Betatests und frühes Go-Live
Umso komplexer ein Ablauf ist, desto zeitaufwendiger kann die Umsetzung sein. Wenn sich über die Zeit Anforderungen verändern, bewegt sich die Entwicklung oft in eine andere Richtung als gewünscht. Durch frühzeitiges Betatesten in Pilotgruppen kann dem entgegengesteuert werden. Hierfür kann ein kleiner ausgewählter Personenkreis etabliert werden, aber auch ein Test parallel zum Livebetrieb ist denkbar. Vor allem wenn Abläufe zuvor noch manuell abgearbeitet wurden, kann eine frühe Version bereits zu Arbeitserleichterungen führen. Durch die praktische Verwendung des neuen Prozesses kommen zudem häufig Wünsche oder neue Anforderungen auf, die sich in einem frühen Entwicklungsstadium noch einfach umsetzen lassen. Diese Ideen sollten jedoch stets evaluiert und priorisiert werden.
Die Erfahrung hat gezeigt, dass simple Prozesse in der Praxis oftmals bereits ausreichen und eine Vollautomatisierung gar nicht gewünscht ist, oder sogar Nachteile mit sich bringt.
Zurück zum Beispiel: Der Hardware-Bestellprozess
Anstatt direkt alles zu automatisieren, wird in der Service-Management-Umgebung vorerst ein Prototyp mit manuellen Arbeitsanweisungen erstellt.
Es wird eine Aufgabe für die Rolle „Hardware Management“ erstellt, welche folgende schrittweise Anleitung enthält:
- Ein beliebiges Gerät eines bestimmten Typs vom Lager nehmen und an der Betankungsstation anschließen.
- Das Gerät im Endpoint Management manuell anlegen. Nun wird über die Installationsstraße die Standardsoftware automatisiert installiert.
- Ist weitere Software gewünscht, so kann diese separat über das Portal bestellt werden. Diese wird dann nachträglich automatisiert installiert.
- Das nun fertig installierte Gerät im Portal der Aufgabe anhängen.
- Der Prozess weist dieses dann automatisiert dem Empfänger zu und hinterlegt es der Bestellung.
- Das Gerät ausliefern.
Wird die Aufgabe geschlossen, läuft der Prozess weiter und legt das Gerät in der Endpoint Management Lösung an.
Schon nach kurzer Entwicklungszeit kann der teilautomatisierte Prozess bereits getestet werden. Durch das Testen kann Feedback von den Personen gesammelt werden, die später mit dem Prozess arbeiten sollen. Neu hinzukommende Anforderungen können einfacher adressiert und implementiert werden. Betrachten wir die Anforderungen des vollautomatisierten Prozesses bezogen auf den teilautomatisierten Prototyp:
Anforderung 1: Ist kein Gerät mehr auf Lager, so muss ein neues bestellt werden.
- Vorerst kann die Bestellung manuell ausgelöst werden. Die Aufgabe für die Bestellung kann so lang angehalten werden, bis neue Geräte eintreffen. Im nächsten Schritt kann man darüber nachdenken, einen separaten Prozess für die Bestellung zu entwickeln.
Anforderung 2: Wurde eine Bestellung fälschlicherweise aufgegeben, soll es möglich sein diese abzubrechen.
- Dies ist für unseren Prozess kein Problem. Wir können ihn so erweitern, dass er die Bestellung abbricht, wenn die Aufgabe mit der Begründung „Zurückgezogen“ geschlossen wird.
Anforderung 3: Philipp, unser IT-Mitarbeiter für die Bereitstellung von Endgeräten, muss oft lange suchen, um das vom Prozess ausgewiesen Gerät zu finden. Manchmal wird das Gerät gar nicht gefunden oder es wird das falsche Gerät für eine Bestellung verwendet und ausgeliefert.
- Dieses Problem tritt in unserem Prozess nicht auf, da das Gerät manuell ausgesucht wird.
Service Management Automation
Die Automation von Abläufen und Prozessen kann viel Zeit und Geld einsparen. Hierfür sollte sie jedoch an den richtigen Stellen und im richtigen Maß eingesetzt werden. Durch Modularität und agile Entwicklung mit Feedbackschleifen können aus komplexen Abläufen einfache Prozesse werden, die die Arbeit durch Teilautomatisierung erleichtern und trotzdem die nötige Flexibilität für Ausnahmen bieten. Eine Unterteilung der einzelnen Arbeitsschritte in Microservices ermöglichen die Wiederverwendung in anderen Prozessen. Service Management Technologien liefern eine Plattform, um Prozesse ganzheitlich in die Umgebung und Abläufe des Unternehmens zu integrieren und den Entwicklungsaufwand zu reduzieren. Erfahrung ist in der Entwicklung automatisierter Prozesse essenziell. Sind Ihnen z.B. öfter die gleichen Herausforderungen aufgefallen? Ich freue mich auf einen Austausch.