Gewinner erkennt man am Start, Verlierer auch – Warum Digitalisierung mehr Mut als Technik braucht

Der Fortschritt bei der Umsetzung von Digitalisierungsinitiativen im Bereich der Öffentlichen Hand oder des Gesundheitswesens wird oft als schleppend beschrieben. „Wir haben kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem“ ist ein Satz, den ich Land auf, Land ab immer wieder höre. Sehr treffend hat es Dr. Karsten Wildberger als neuer Bundesminister für Digitales und Staatsmodernisierung im Mai 2025 in seiner Antrittsrede formuliert: „Für die digitale Transformation gibt es keinen Schalter, den man einfach umlegen kann: Der eigentliche Schalter, ist der im Kopf: Das Mindset.“ 

Damit spricht er mir aus der Seele, denn ich hatte das Privileg über 26 Jahre in verschiedenen Rollen immer eng mit Kunden zusammenarbeiten zu dürfen. Mich hat irgendwann die Frage beschäftigt, warum einige deutlich größere Fortschritte bei Digitalisierungsinitiativen durch den Einsatz innovativer und moderner Technologien erzielen, während andere – obwohl sie die Dringlichkeit erkennen und ähnliche Ziele, Strategien und Konzepte verfolgen – bei der Umsetzung immer wieder wie an einem Bungeeseil zurückgezogen werden?

Von IT-Projekt zur Transformation: Wenn Digitalisierung die ganze Organisation betrifft

Es herrscht eigentlich überall Konsens, dass die modernen Technologien wie Cloud, Künstliche Intelligenz, Low Code Plattformen und Automatisierung z.B. durch Robotic Process Automation (RPA) gemeinsam gedacht werden müssen, um z.B. den Fachkräftemangel abzufedern und um die gewünschten Mehrwerte und Ziele zu erzielen.
Was diese Technologien fast alle gemeinsam haben: 

  • Der Mehrwert liegt nicht in der IT, sondern in den Fachbereichen.
  • Es bedarf Veränderungen in der Organisation, Aufbau neuer Kompetenzen, eine veränderte Zusammenarbeit etc..
  • Es sind damit keine klassischen IT-Projekte die nur wenige Menschen in einer Abteilung betreffen, sondern Transformationsprojekte mit einem direkten Einfluss auf viele Menschen über Organisationsgrenzen hinweg.

Warum Veränderung uns herausfordert – und wie wir ihr begegnen können

Transformation bedeutet kontinuierliche Veränderung und Veränderung ist genau das, was der Mensch nicht möchte, und Stress verursacht – wir alle lieben unsere Gewohnheiten und Rituale, denn die helfen uns Ressourcen zu schonen. Die Macht der Gewohnheit ist bekanntlich der beste Klebstoff.

Was erschwerend hinzu kommt, ist dass wir alle durch unsere Kindheit und unser soziales Umfeld geprägt wurden und ein bestimmtes Mindset haben. Meine eigene Kindheit ist eine Geschichte des Funktionierens, immer um Sicherheit zu garantieren und nicht negativ aufzufallen.

Sprüche, welche ich immer und immer wieder als Kind gehört habe:

  • Schuster bleib bei deinen Leisten
  • Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht
  • Das haben wir schon immer so gemacht
  • Was sollen denn die Nachbarn denken

Ich denke damit bin ich nicht allein, sondern viele, die in Deutschland in den 1970er und 1980er Jahren aufgewachsen sind, haben die gleiche Prägung mitbekommen und dafür gibt es sogar international eine Bezeichnung – „German Angst“. Mit dem Begriff werden die als typisch deutsch erachteten Eigenschaften wie Mutlosigkeit, Zögerlichkeit und Sicherheitsbedürfnis beschrieben.
Diese Haltung hat ihre Stärken, etwa in Form von Gründlichkeit, Normierung und Regulierung. Doch sie kann auch dazu führen, dass notwendige Veränderungen zu lange hinausgezögert oder mit übermäßiger Skepsis betrachtet werden.

Mindfucks – die unsichtbaren Blockierer der Digitalisierung

Der provokante Begriff „Mindfuck“ beschreibt diese unterschiedlichen gedanklichen Störungsmuster und Zweifel, die uns blockieren, Innovation verhindern und Fortschritt sabotieren.
In vielen Organisationen lassen sich vor allem vier wiederkehrende psychologische Muster beobachten, welche die Digitalisierung ausbremsen:

  • Katastrophen-Mindfuck: Mitarbeiter bewertet jegliche Veränderung als Bedrohung und fängt sofort an zu katastrophisieren und geht in eine innerliche Abwehrhaltung. Auf neue Technologien wird mit Angst und Rückzug reagiert. Risiken werden gemieden oder sogar eliminiert, in dem man sich in seinem bekannten Bereich unersetzlich macht.
  • Bewertungs-Mindfuck: Mitarbeiter bewertet sich und andere ständig, strebt nach Perfektion, ist im dauerhaften Stressdenken und verliert sich in Selbstzweifeln. Fortschritt wird durch Überforderung blockiert.
  • Misstrauens-Mindfuck: Mitarbeiter misstraut neuen Ansätzen und zieht sich zurück. Lob oder neue Projekte werden als Belastung oder Manipulation interpretiert.
  • Regel-Mindfuck: Mitarbeiter hält starr an alten Regeln fest. Innovation wird mit Sätzen wie „Das haben wir noch nie so gemacht“ abgewehrt.

Mindfucks sind wie ein innerer Kompass, der falsch gepolt ist und uns in die falsche Richtung führt. Die falsche Polung bietet uns keine Orientierung in einer digitalen, sich schnell verändernden Welt. 

Abbildung 1: Diese Muster sind menschlich – aber sie sind überwindbar. (Vgl.: https://www.petrabock.de/mindfuck/)

Diese Muster sind menschlich – aber sie sind überwindbar.

Der Silver Circle: Orientierung für Veränderung

  • WER will ich sein? – Will ich der Sklave meiner Ängste und Zweifel sein– gestresst, ohnmächtig und im Widerstand mit dem, was ist? Oder entscheide ich mich bewusst dafür, meine Gedanken zu meistern und mein wahres Potenzial zu entfalten? 
    Wo sollte mein Fokus künftig liegen? Auf dem, was mich blockiert – oder auf dem, was mich wachsen lässt? Bin ich im Widerstand mit dem, was ist – oder richte ich meine Energie auf das, was ich tatsächlich beeinflussen kann?
    Bin ich bereit, Verantwortung für meinen Einflussbereich zu übernehmen – und mir selbst die Freiheit zu geben, Fehler zu machen, aus denen ich lernen und mich weiterentwickeln kann? Gerade Mut und Neugierde sind im Job ein Turbo für die Karriere und hat sogar eine ansteckende Wirkung. Statt überall unrealistische Perfektionsmaßstäbe anzulegen, lohnt es sich, den Fokus auf Fortschritt zu richten. Wir erlauben uns, unvollkommen zu starten – ohne uns dafür zu verurteilen. Eine Lösung, die zu 80 % steht, ist ein Anfang. Den Rest entwickeln wir Schritt für Schritt weiter.
  • WIE kommuniziere ich? – Inspirierend und empathisch oder bremsend und belehrend? Welche Botschaften sende ich an mein Team? Schaffe ich durch meine Kommunikation eine Vertrauenskultur aufzubauen? Wie sollen andere über mich reden, wenn ich nicht im Raum bin? Will ich als Zögerer und Zauderer wahrgenommen werden, oder als jemand, der zu seiner Meinung steht, neugierig ist und mutig vorangeht? Gerade in der IT, die zunehmend als Brückenbauer zwischen Technik und Fachbereichen agiert, ist eine empathische, verständliche und motivierende Kommunikation entscheidend. Innovation beginnt mit Empathie – nicht mit Fachjargon.
  • WOHIN will ich mich entwickeln? – In ein Umfeld, das Chancen erkennt, statt Probleme zu verwalten? Gibt es Personen in meinem Umfeld, an denen ich mich orientieren kann und die mir helfen, mich weiterzuentwickeln?
Abbildung 2: Silver Circle – Wer, wie, wohin.

Fazit: Mut ist der wahre Digitalisierungstreiber

Digitalisierung beginnt im Kopf und wir benötigen eine Weiterentwicklung des Denkens. Wer Denkblockaden erkennt, diese stoppt, Verantwortung übernimmt und den Mut aufbringt, neue Wege zu gehen, wird erfolgreicher umsetzen – vielleicht nicht perfekt, aber wirksam. Es braucht weniger „German Angst“ und mehr „Pippi Langstrumpf“-Mentalität: „Das habe ich noch nie vorher versucht, also bin ich völlig sicher, dass ich es schaffe.“

Denn Gewinner erkennt man am Start – und der beginnt mit Haltung, nicht mit Technik.