Digitale Barrierefreiheit – Bald wird’s für viele ernst. Ein Blick in BGG und BFSG

Müssen digitale Angebote barrierefrei sein?

Die kurze Antwort lautet: Vielleicht. Die differenzierte Antwort: Es kommt es darauf an. Dieser Blogartikel bietet daher einen Überblick über die Vorgaben, die uns das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) und das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) machen.

Wenn aus „sollte“ „könnte“ wird – Barrierefreiheit digitaler Angebote

Sprechen wir über Barrierefreiheit: Digitale Angebote sollten barrierefrei sein – darüber herrscht eigentlich immer Konsens. Aber in der Praxis wird aus dem „sollte“ oftmals ein „könnte (wenn Zeit und Budget reichen)“. Und weil Zeit und Budget in der Regel nicht reichen, wird aus dem „könnte“ ganz schnell ein leeres Lippenbekenntnis. Damit es nicht mehr nur bei Lippenbekenntnissen bleibt, schreibt der Gesetzgeber mit dem Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) und dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) Barrierefreiheit vor; und das teilweise schon seit Jahrzenten. Aus dem „sollte“ wird ein „müssen“: Digitale Angebote müssen barrierefrei sein. Oder doch nicht?

Dieser Beitrag erklärt, wie öffentliche Stellen Barrierefreiheit umsetzen und welche privaten digitalen Angebote bis spätestens Juni 2025 barrierefrei sein müssen.

Was sind BGG und BFSG?

Schon seit 2002 regelt das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) die barrierefreie Informationstechnik öffentlicher Stellen des Bundes. Das BGG beschreibt Barrierefreiheit dabei wie folgt:

„Barrierefrei sind […] Systeme der Informationsverarbeitung […], wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind. Hierbei ist die Nutzung behinderungsbedingt notwendiger Hilfsmittel zulässig.“

(BGG, §4)

Seit nunmehr etwas mehr als zwei Jahrzehnten steht das Thema Barrierefreiheit auf dem Zettel der Bundesbehörden. 2021, schließlich, wurde das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) beschlossen, das zukünftig auch private Anbieter in die Pflicht nehmen soll. Ziel des Gesetzes ist „die gleichberechtigte und diskriminierungsfreie Teilhabe von Menschen mit Behinderungen, Einschränkungen und älteren Menschen“ (vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales). Dabei sollen für das alltägliche Leben relevante digitale Touchpoints, z.B. Bank- oder Ticketautomaten aber auch Angebote im Web (siehe unten) von den jeweiligen privaten Betreibern barrierefrei angeboten werden.

Wer ist nun also alles davon betroffen, seine digitalen Angebote barrierefrei machen zu „müssen“?

Wer ist von der Pflicht zur Barrierefreiheit betroffen?

Wie schon erwähnt, verpflichtet das BGG die öffentlichen Stellen des Bundes zu einer barrierefreien Gestaltung ihrer digitalen Angebote. Genauer gesagt, verweist das BGG auf die Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV). Dabei müssen Bundesbehörden sowohl externe an Bürger:innen gerichtete digitale Angebote als auch interne Anwendungen barrierefrei gestalten. Daneben haben die Länder ähnliche Gesetze erlassen, die ihren Behörden Barrierefreiheit auferlegen.

Im privaten Sektor regelt nun das BFSG die Pflicht zur Barrierefreiheit. Ähnlich wie beim BGG wurde auch hier eine ergänzende Verordnung erlassen, die „Verordnung zum Barrierefreiheitsstärkungsgesetz“ (BFSGV). Barrierefreie digitale Angebote muss zukünftig anbieten, wer einen Betrieb mit mehr als 10 Mitarbeitenden hat oder einen Jahresumsatz von mehr als 2 Millionen Euro erzielt. Dies gilt aber auch nur dann, wenn eine an Endverbraucher:innen gerichtete „Dienstleistung im elektronischen Geschäftsverkehr“ oder eine physische Dienstleistung mit „Dienstleistung im elektronischen Geschäftsverkehr“ erbracht wird. Soweit so unklar. Etwas Licht ins Dunkel bringen zwei konkrete Beispiele des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales:

  • Ein Online-Shop, in dem Verbraucher:innen einen individuellen Verbrauchervertrag mit dem Anbieter abschließen, der in der Regel finanziell vergütet wird, bietet eine Dienstleistung im elektronischen Geschäftsverkehr an.
  • Ein Friseursalon bietet seine Dienstleistung physisch an. Gibt es aber die Möglichkeit, Termine auf seiner Website zu buchen, bietet er seine physische Dienstleistung mit Dienstleistung im elektronischen Geschäftsverkehr an.

Ab wann gilt die Pflicht zur Barrierefreiheit?

Öffentliche Stellen sind bereits jetzt in der Pflicht. Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz sieht für private Anbieter eine Übergangsfrist bis zum 28.06.2025 vor.

Was droht bei Nichteinhaltung?

Für öffentliche Stellen sind keine Sanktionsmöglichkeiten vorgesehen. Dies ist bei privaten Anbietern hingegen anders. Hier soll es Sanktionen geben, die von Geldbußen bis hin zum Abschalten des digitalen Angebots reichen können.

Was genau ist zu tun?

BSFG und BITV verweisen jeweils auf die EN 301 549. Dies ist eine harmonisierte europäische Norm zur Barrierefreiheit. Sie gibt vor, wie die Barrierefreiheit digitaler Angebote zu bewerten ist. Dabei stützt sie sich maßgeblich auf die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) des W3C-Konsortiums. Konkreter gesagt, übernimmt die EN 301 549 die Konformitätsstufen A und AA der WCAG. Die EN 301 549 setzt aber auch über die WCAG hinausgehende Kriterien an.

Moment mal… Was ist denn jetzt die WCAG und welche Konformitätsstufen gibt es?

Die WCAG ist ein international anerkannter, vom W3C-Konsortium erstellter und gepflegter Standard zur Umsetzung der Barrierefreiheit. Hier sind verschiedene Erfolgskriterien festgehalten, anhand derer beurteilt werden kann, wie barrierefrei ein digitales Angebot ist. Diese Erfolgskriterien sind in drei Konformitätsstufen A, AA und AAA unterteilt. Dabei steht A für minimale Anforderungen an die Barrierefreiheit digitaler Angebote und AAA für die Kirsche auf der Sahnehaube.

„Stand der Technik“ und „höchstmögliches Maß an Barrierefreiheit“

Neben der EN 301 549 verweisen BGG und BFSG auch auf das „höchstmögliche Maß an Barrierefreiheit“ und den „Stand der Technik“. Bei beiden handelt es sich um nicht näher definierte Begriffe. Aktuell geht man davon aus, dass das höchstmögliche Maß an Barrierefreiheit durch die Einhaltung der EN 301 549 größtenteils erfüllt ist. Gegebenenfalls sind einige Kriterien der Konformitätsstufe AAA der WCAG miteinzubeziehen. Zum Stand der Technik wird auf die DIN EN ISO 9241 (Ergonomie der Mensch-System-Interaktion) ergänzt durch ISO 14915 (Software-Ergonomie für Multimedia-Benutzungsschnittstellen) und die DIN EN ISO 14289 (Barrierefreiheit von PDFs) verwiesen.

Und wie soll man damit nun arbeiten können?

Ein direktes Arbeiten mit diesen Normen ist so gut wie ausgeschlossen. Daher hat sich der „BITV-Test“ etabliert. Dieser umfasst die Anforderungen der EN 301 549 – und damit die Konformitätsstufen A und AA der WCAG – und bietet sie als leicht prüfbare Testschritte an.

Obwohl der BITV-Test die Abkürzung zur Barrierefreien-Informationstechnik-Verordnung im Namen trägt, deckt er nicht alle Inhalte der BITV ab. Für öffentliche Stellen schreibt die BITV auch noch vor, Informationen in leichter Sprache und in Gebärdensprache anzubieten. Außerdem müssen öffentliche Stellen jährlich eine Überprüfung der Barrierefreiheit durchführen und in Form der „Erklärung zur Barrierefreiheit“ auf dem digitalen Angebot veröffentlichen. Zudem muss die Möglichkeit bestehen, Barrierefreiheitsmängel zu melden.

Die gesetzlichen Vorgaben im Überblick

Was auf den ersten Blick nach komplexem Gesetzesdschungel wirkt, lässt sich auch gut wie folgt abkürzen:

Öffentliche StellePrivater Anbieter
Gesetz / VerordnungBehindertengleichstellungs-gesetz (BGG) und Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV).Barrierefreiheitsstärkungs-gesetz (BFSG) und Verordnung zum Barrierefreiheitsstärkungs-gesetz (BFSGV).
„Müssen” digitale Inhalte barrierefrei angeboten werden?JaJa, wenn:
– Im Betrieb mehr als 10 Mitarbeitende arbeiten.
– ODER der Jahresumsatz bei mehr als 2 Millionen Euro liegt.
– UND eine Dienstleistung im elektronischen Geschäftsverkehr erbracht wird.
– UND sich das Angebot an Endverbrauchende richtet.
Ab wann müssen digitale Inhalte barrierefrei sein?SofortAb 28.06.2025
Was ist zu tun?– Die EN 301 519 muss erfüllt sein.
– Der Stand der Technik muss beachtet sein.
– Das höchstmögliche Maß an Barrierefreiheit muss erfüllt sein.
– Wichtige Informationen müssen in leichter Sprache und Gebärdensprache zur Verfügung stehen.
– Nutzende müssen die Möglichkeit haben, Mängel der Barrierefreiheit zu melden.
– Eine jährliche Überprüfung der Barrierefreiheit mit Veröffentlichung der Prüfungsergebnisse in der „Erklärung zur Barrierefreiheit“.
– Die EN 301 549 muss erfüllt sein.
– Der Stand der Technik muss beachtet sein.
– Das höchstmögliche Maß an Barrierefreiheit muss erfüllt sein.

Fazit

Mit diesem Blogartikel sollte klar werden, was der Gesetzgeber in puncto Barrierefreiheit fordert und ob und in welcher Form diese ausgestaltet sein soll. Aber selbst, wenn digitale Angebote nicht unter die Vorgaben des Gesetzgebers fallen: Sie sollten dennoch barrierefrei sein. Barrierefreie Angebote nutzen nicht nur Menschen mit Einschränkungen. Auch Menschen ohne Einschränkung profitieren von der verbesserten User Experience. Nur eines von vielen Beispielen sind Formulare: die WCAG und damit die EN 301 549 geben klare Richtlinien vor, wie Formulare funktionell gestaltet sein sollten. Dabei geht es zum Beispiel um die Unterstützung beim Ausfüllen von Formularen. Gerade letzteres, oft auch als „Auto-Fill“ bezeichnet, da wiederkehrende Eingabefelder wie Name, Adresse oder E-Mail automatisch befüllt werden können, erlaubt es Menschen mit und ohne Einschränkungen Daten in Formularen schneller und fehlerfreier einzugeben. Für diese Anpassungen für die Barrierefreiheit sind alle Nutzenden dankbar und der Anbieter des Formulars sicher auch, da er mit weniger Abbrüchen und Fehleingaben rechnen kann.