Die Automobilindustrie sieht sich mit vielen neuen sowie alten Fragestellungen konfrontiert, die derzeit noch nicht oder nur unzureichend gelöst werden können. Hierzu gehören Herausforderungen aus der Batterietechnik, Logistikprobleme oder das autonome Fahren. Dies könnte sich jedoch bald ändern, denn es steht eine Technologie in den Startlöchern, die verspricht, Antworten auf diese Fragen liefern zu können – die Rede ist von Quantum Computing.
Doch was ist Quantum Computing eigentlich und wie kann es für die genannten Fragestellungen genutzt werden?
Der klassische Computer, wie wir ihn alle kennen, verwendet das Bit als kleinste Recheneinheit. Dieses Bit kann immer nur genau einen definierten Zustand annehmen, nämlich 0 oder 1. Um eine Rechenoperation ausführen zu können, muss dieses Bit mithilfe von elektrischen Impulsen manipuliert werden – dies geschieht Impuls für Impuls. Dieser Vorgang ist dank modernster Chiparchitekturen heute sehr schnell, für manche Aufgabenstellungen jedoch bei weitem nicht schnell genug, um diese in akzeptabler Zeit lösen zu können.
Aus Bit wird Qubit
Ein Quantencomputer hingegen basiert auf den Gesetzen der Quantenmechanik und funktioniert daher grundlegend anders. Im Gegensatz zum Bit ist das so genannte Qubit nämlich in der Lage, eine Überlagerung aus den beiden Basiszuständen 0 und 1 anzunehmen. Nutzt man mehrere Qubits, so lassen sich Zustände erstellen, die aus einer Vielzahl von überlagerten Basiszuständen (Superposition) bestehen. Dies erlaubt gewissermaßen, eine Vielzahl von Informationen gleichzeitig zu speichern. Ein weiteres quantenmechanisches Phänomen, welches sich der Quantencomputer zu Nutze macht, ist die Verschränkung. Verschränkte Qubits agieren miteinander gekoppelt als „Quasi-Einheit“. Dadurch lassen sich Zusammenhänge von Informationen auf Qubit-Ebene kodieren [1]. Diese beiden Phänomene erlauben dem Quantencomputer bestimmte Aufgaben – vereinfacht gesagt – wesentlich schneller und genauer zu bearbeiten. Heutige Versionen dieser Systeme befinden sich bereits auf der Schwelle zur produktiven Nutzung, doch es gibt noch einiges zu tun. So sind heute verfügbare Quantencomputer der NISQ-Ära (Noisy-Intermediate-Scale-Quantum) [2] beispielsweise noch fehlerbehaftet, benötigen kontrollierte Umgebungsbedingungen und passen in keine Westentasche. Gleichwohl gilt Quantum Computing als zukunftsweisende Technologie mit dem Potenzial für disruptive Veränderungen, dessen Anwendungsfelder für die Automobilindustrie von großem Nutzen sein können.
Elektromobilität
Zu den Top-Herausforderungen der Automobilindustrie zählt klar der Umstieg von fossilen Energieträgern auf alternative Antriebskonzepte wie die Elektromobilität [3]. Konkret geht es um die Entwicklung neuartiger Batterien, die eine hohe Kapazität bei geringen Ladezeiten und ebenso geringen Kosten bieten sollen. Hierfür werden Materialien mit neuartigen Eigenschaften benötigt – ein quantenmechanisches Problem, was es zu lösen gilt [4]. In den letzten Jahrzenten wurden bei der Simulation von quantenmechanischen Problemen auf klassischen Computern viele Fortschritte erzielt. Trotzdem können wichtige Phänomene auch mit heutigen Methoden nur unzureichend erforscht werden.
Die Entwicklung leistungsfähiger Batterien steht also ebenso am Anfang wie der Einsatz ebensolcher Quantencomputer. Die besten unter ihnen besitzen gerade einmal einhundert fehlerbehaftete Qubits [5] Dies ist allerdings für angestrebte Berechnungen komplexer Molekülverbindungen in Batterien nicht ausreichend, denn hierbei werden unter anderem Teilchen berechnet, aus denen die Moleküle bestehen – was die Verarbeitung riesiger Datenmengen nötig macht. Durch geschickte (Weiter-)Entwicklung passender Algorithmen ist es Wissenschaftlern jedoch gelungen, auch mit den derzeit begrenzten Ressourcen der frühen Quantencomputer Ergebnisse zu erzielen, die als Basis für die weitere Batterieforschung genutzt werden können.
Logistik
Lagerhaltung und die damit verbundene Logistik bedeuten für Unternehmen Kosten. Dabei handelt es sich vor allem um Kosten für Lagerplatzflächen, das Ein- oder Ausräumen von Gütern sowie die Verfügbarkeit der benötigten Güter am richtigen Ort, zur richtigen Zeit, in der geforderten Menge in der Produktionshalle. Viele Unternehmen nutzen das Just-in-time Prinzip. Hierbei wird versucht, die Ware zeit- und mengengenau zu liefern, um so Lagerflächen und zusätzliche Logistikprozesse im eigentlichen Werk zu minimieren. Die Herausforderung besteht in der Abstimmung der Transportplanung, der Bestimmung der optimalen Liefergröße sowie der konkreten Berechnung eines Produktionszyklus. Zusätzlich müssen Risiken wie Wetterextreme oder Verkehrsbehinderungen eingeplant und eine schnelle Reaktion abgeleitet werden, damit eine fortlaufende Produktion gewährleistet werden kann und es nicht zu einem Produktionsstopp kommt [6].
Allein bei der Routenplanung zeigt sich die Komplexität der Berechnung, denn diese nimmt mit n! (n! = 1´2´3´…´n) zu. Sie steigt mit jeder zusätzlichen Variablen (LKW, Route, Fahrer usw.). Eine Route mit 10 Haltestellen ergibt zum Beispiel 3.628.800 Routenoptionen, 40 Haltestellen resultieren in etwa 40! = 815.915.283.200.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000 Optionen [7]. Anhand dieses „einfachen“ Beispiels wird schnell klar, dass klassische Computer hier schnell an ihre Grenzen stoßen. Quantentechnologien versprechen hier zukünftige Optimierungen auf einem völlig neuen Niveau der Genauigkeit und Leistung.
Autonomes Fahren
Gefühlt noch in weiter Ferne und doch heute schon in aller Munde – Autonome Fahrzeuge.
Fahrzeuge, die vollständig vernetzt, ohne Fahrer von A nach B navigieren. Autonome Fahrzeuge Level 5 müssen in der Lage sein, Sensordaten-Ereignisse zu erfassen, zu verarbeiten und zu reagieren – in Echtzeit [8]. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass jeder Meter autonom zurückgelegter Wegstrecke enorme Datenmengen verursacht, die entsprechend schnell verarbeitet werden müssen. Hierfür reichen herkömmliche Rechner schlichtweg nicht aus.
Aus diesem Grund werden Näherungsverfahren genutzt, welche einen Kompromiss aus Genauigkeit und Geschwindigkeit darstellen. Ein klarer Fall für künftige Quantencomputer – denn jedes maschinelle Lernen, wie es auch in Form neuronaler Netze bei autonomen Fahrzeugen vorkommt, kann von Quantum Computing profitieren. Das Training der immer komplexer werdenden Algorithmen könnte so wesentlich schneller durchgeführt werden. Schon heute werden passende kleinere Algorithmen getestet und optimiert. Diese können dann mithilfe leistungsfähiger Quantenprozessoren entsprechend linear auf größere Netze skaliert werden [9].
Fazit
Bis zu einem produktiven Einsatz von Quantum Computing wird noch einige Zeit vergehen. Sie sind derzeit noch groß wie Mainframes und verfügen nur über wenige Qubits, doch die Technologie birgt enormes Potential. Daher sollten Unternehmen bereits heute Use Cases identifizieren, die Auswirkungen der Technologie bewerten und verstehen lernen. Warum? Die Technik ist nicht einfach zu verstehen und Fachkräfte sind bereits jetzt Mangelware. Der potenzielle Mehrwert, der durch den Einsatz von Quantum Computing entstehen kann, ist jedoch enorm. Dessen ist sich auch die Bundesregierung bewusst: Um den Standort Deutschland zu stärken und den Ausbau zu beschleunigen, wurden durch den Bund zwei Milliarden Euro für die Entwicklung und den Bau von Quantencomputern in Deutschland bereitgestellt [10]. Es stellt sich also nicht mehr die Frage ob, sondern wann Quantum Computing die Welt der Digitaltechnik auf den Kopf stellen wird und wer diese Technologie verwendet, um sich daraus einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen.
Quellen:
[1] | I. L. Chuang and M. A. Nielsen, Quantum Computation and Quantum Information, Cambridge University Press, 2010. |
[2] | J. Preskill, „Quantum Computing in the NISQ era and beyond,“ Quantum Journal, 2018. |
[3] | 11 12 2019. [Online]. Available: https://ec.europa.eu/info/sites/default/files/european-green-deal-communication_en.pdf. [Accessed 24 02 2022]. |
[4] | J. Garcia, „IBM and Daimler use quantum computer to develop next-gen batteries,“ IBM, 2020. [Online]. Available: https://www.ibm.com/blogs/research/2020/01/next-gen-lithium-sulfur-batteries/. [Accessed 24 02 2022]. |
[5] | J. Chow, O. Dial and J. Gambetta, „IBM Quantum breaks the 100‑qubit processor barrier,“ IBM, 06 11 2021. [Online]. Available: https://research.ibm.com/blog/127-qubit-quantum-processor-eagle. [Accessed 24 02 2022]. |
[6] | [Online]. Available: https://logistikknowhow.com/materialfluss-und-transport/beschaffungslogistik-just-in-time/. |
[7] | R. Liscouski , „Supplychainbrain,“ 8 8 2021. [Online]. Available: https://www.supplychainbrain.com/blogs/1-think-tank/post/33547-how-quantum-computing-will-power-the-future-of-logistics. [Accessed 24 02 2022]. |
[8] | „www.bundesregierung.de,“ 21 05 2021. [Online]. Available: https://www.bundesregierung.de/breg-de/suche/faq-autonomes-fahren-1852070. [Accessed 24 02 2022]. |
[9] | F. Neukart, 14 03 2021. [Online]. Available: https://digitaleweltmagazin.de/interview/quantencomputing-in-der-automobilindustrie/. [Accessed 24 02 2022]. |
[10] | P. 102/2021, 11 05 2021. [Online]. Available: https://www.bmbf.de/bmbf/shareddocs/pressemitteilungen/de/karliczek-mit-grossen-schritte-uantencomputer-made-in-germany.html. [Accessed 24 02 2022]. |