„Es gibt mehr Werkzeuge als Arbeiter und von diesen mehr schlechte als gute“

Zitat: (Stanislaw Jerzy Lec, polnischer Schriftsteller (1909 – 1966)

Gefahr erkannt, Gefahr gebannt? Mitnichten.

Ohne Kompass kommen Suchende im Urwald der Hochglanzwebsites und Werbeversprechen oft schnell an ihre Grenzen. Das machen Herstellerpräsentationen1 (Mit „Hersteller” sind in diesem Beitrag keine privaten Personen, sondern rechtliche Personen bzw. Unternehmen gemeint) nicht besser. Das böse Erwachen kann schnell folgen, wenn klar wird, dass die gewählte Plattform die strategische Zielsetzung des eigenen Unternehmens nur mit sehr hohen internen Betriebsaufwänden (wenn überhaupt) erreicht oder aufgrund fehlender Skalierbarkeit nach kurzer Zeit erneut die Toolfrage in den Fokus rückt.

Folgende Empfehlungen können ein Kompass für individuelle Entscheidungen dedizierter Unternehmen sein.

Grundsätzlich….

Eine ITService Management (ITSM) Plattform ist für eine IT-Serviceorganisation „DAS“ strategische Werkzeug für die Bereitstellung eines stabilen Betriebs. Es ist in der Regel für lange Zeit das zentrale System im Unternehmen, welches den operativen IT-Betrieb steuert. Entsprechend komplex ist seine Implementierung. Das Niveau der Servicebereitstellung ist am Ende abhängig von der Qualität des eingesetzten Systems und der gelebten Prozesse in der Aufbau- und Ablauforganisation.

Seit einiger Zeit ist klar erkennbar, dass sich die vor vielen Jahren als ITSM-Lösungen gestarteten Tools und Frameworks (Bsp. ITIL) mehr und mehr auch als Plattformen für interne (Bsp. HR) oder externe Kunden des Business wertschöpfend als Enterprise Service Management (ESM) einsetzen lassen.

Angesichts dieser zentralen Bedeutung lohnt es sich, für die Lösungsevaluierung ausreichend Zeit und Mittel zu investieren, um damit den größtmöglichen Benefit im Spannungsfeld Aufwand / Nutzen zu ermöglichen

Für die Evaluierung einer Lösung empfehlen sich fünf Phasen:

  • Phase 1: Vorbereitung
  • Phase 2: Klärung der Zielsetzung und Rahmenparameter
  • Phase 3: Erfassung der Anforderungen und Überführung in einen Anforderungskatalog
  • Phase 4: Angebotsanfrage bei ausgewählten Plattform Herstellern/IT-Partnern
  • Phase 5: Bewertung und Entscheidung

Phase 1 – Vorbereitung:

Vor dem Start der eigentlichen Evaluierung sollten einige Vorbereitungen getroffen werden.

  • Identifizierung eines Sponsors und der Stakeholder
  • Aufbau eines Projektes / Projektteams, welches das Vorgehen und das Ergebnis verantwortet
  • Aufbau eines Business Case

Phase 2: Klärung der Zielsetzung und Rahmenparameter

Die Zielsetzung muss mit der IT-Strategie und der übergeordneten Business-Strategie einhergehen, um beides langfristig unterstützen. Dies fordert Entwicklungsfähigkeit und Skalierbarkeit der ausgewählten Lösung und einen erfahrenen Partner[2], (Mit ”Partner” sind in diesem Beitrag keine privaten Personen, sondern rechtliche Personen bzw. Unternehmen gemeint) der zukunftsfähig agiert und einen stabilen Support gewährleistet. Fragestellungen daraus können sein:

  • Soll die ITSM Lösung rein IT-intern genutzt oder ein unternehmensweites ESM etabliert werden?
  • Ist ein organisationsübergreifender Ansatz erforderlich? (Stichwort: Mandantenfähigkeit)
  • Wie lauten die kritischen Erfolgsfaktoren für die ITSM-Lösung – sowohl aus Sicht der IT als auch aus Sicht des Business?
  • Ist die Anbindung von externen Providern ebenso ein Thema? (Stichwort: Integrierte Systeme)

Es ist es wichtig, die strategische Zielsetzung einer zukünftigen ITSM-Lösung zu definieren und zu dokumentieren. Hierbei handelt es sich um eine strategische Entscheidung auf Leitungsebene, welche die Grundlage für jeden weiteren Evaluierungsschritt ist.

Die neue ITSM-Plattform wird in der Regel in eine bestehende Organisation eingebunden. Es ist notwendig, logische, organisatorische und technische Rahmenparameter und Schnittstellen zu identifizieren, um die Integration der Systeme zu gewährleisten.

Rahmenparameter

  • Unternehmen

Bsp. Größe/ Anzahl Standort/ Anzahl User/ Anzahl IT-Mitarbeiter/ Aufbau Supportorganisation

  • IT-Policies
    Bsp. Security-Policy/ Cloud-Policy/ DSGVO-Umsetzung/ Betriebsrat
  • Präferenzen für die ITSM Plattform
    Bsp.: Bereitstellungsmodell (On-premises/ Cloud/ Hybrid) / Präferierte Hersteller / Lizenzmodelle
  • IT-Architektur Standard
  • Rahmenparameter „Enterprise Systeme“
    Welche Systeme sind im Einsatz, die mit ITSM-Systemen interagieren, gleiche Funktionen abbilden oder ggf. technische oder logische Schnittstellen benötigen (Bsp. Ticket Systeme / Workflow Tools….)

Phase 3: Erfassung der Anforderungen und Überführung in einen Anforderungskatalog

Als Ziel der dritten Phase gilt es, relevante Anforderungen aus den verschiedensten Blickwinkeln zu erfassen und in einen strukturierten Anforderungskatalog zu überführen.

Für die Aufnahme der Anforderungen aller beteiligter IT-Fachabteilungen sollte das Interviewformat in den verschieden fachlichen Silos genutzt und mit den ggf. offenen Fragen zur „IST-Situation“ (siehe Phase 2) verknüpft werden. Die in den Gesprächen identifizierten Anforderungen können in einem Dokument entsprechend strukturiert werden.

  • Ist die Funktion eine „Muss-, Soll- oder Kann-“Anforderung? Soweit sinnvoll kann auch eine „Soll nicht“-Anforderung zur Abgrenzung genutzt werden.
    (MoSCoW – Must have / Should have / Could have / Won`t have)
  • Über diese Art der Bewertung und entsprechende Filter kann besser verglichen werden, welches der Tools in den „Core“-Funktionen einen größeren (Mehr-)Wert bietet
  • Ist die einzelne Funktion im Standard implementiert? Wenn nicht, wie hoch ist der Aufwand, diese zu implementieren?

Abbildung 1: Exemplarische Matrix zur Erfassung und Gruppierung der Anforderungen

Phase 4: Angebotsanfrage bei ausgewählten Plattform Herstellern/IT-Partnern

Die Liste der Anforderungen (siehe Abbildung 1) soll die technische Ausstattung der angefragten Plattform abbilden.

Ist die Entscheidung für ein bestimmte Lösung gefällt, gilt diese in der Regel langfristig.  Vor diesem Hintergrund empfiehlt es sich, folgende zusätzliche Fragen in die Angebotsanfrage mit aufzunehmen:

  • Wie hoch sind die Betriebsaufwände für die Plattform, wiegen sie schwerer als Investitionskosten? In Betracht gezogen werden müssen hier u.a. interne Betriebskosten wie die Infrastruktur, Updates und Anpassungen. Aber auch die Möglichkeit für Zugriffe auf eine User-/Support-Community und verfügbare Dokumentationen.
  • Wie ist der Support des Herstellers aufgestellt (bzgl. Erreichbarkeit und Kosten)?
  • Welches sind die mittel- und langfristigen Zukunftsthemen beim Hersteller (Roadmap)?
  • Wie ist die Dienstleisterinfrastruktur des Herstellers/IT-Partners aufgestellt?

Neben der Installation der Lösung wird oft auch ein Partner „implementiert“. Die Auswahl des Partners, der die Implementierungsleistung erbringt, hat einen wesentlichen Anteil daran, wie hoch der Wirkungsgrad des Systems auf Dauer sein wird. Die fachliche Kompetenz des Partners sollte daher in einigen Bereichen geklärt werden. Neben den Kenntnissen in der IT-Architektur werden technische Fähigkeiten, auch außerhalb des ITSM-Umfelds, und Kompetenzen im Bereich des ITIL-Frameworks und der Prozesse benötigt. Darüber hinaus benötigt der Partner Fachkompetenz im Aufbau einer Supportorganisation, aber auch im Projektmanagement und der Betreuung von Change- und Adoptionvorgängen.

Phase 5: Bewertung und Entscheidung

Als Hilfestellung für die finale Bewertung in Frage kommender Plattformen und die letztliche Entscheidung dienen drei Schritte:

  • Schritt 1: Erstellen Sie eine Longlist mit drei bis vier ausgewählten Herstellern/Partnern.
  • Schritt 2: Erstellen Sie aus der Longlist eine Shortlist, indem Sie Ihre zwei favorisierten Hersteller/Partner auswählen.
  • Schritt 3: Laden Sie die beiden Hersteller zur Angebotspräsentation inklusive Vorstellung der Plattform ein. Klären Sie in diesem Zuge zusätzliche Anforderungen bezüglich der Expertise, Organisation und Leistungsfähigkeit des Herstellers/Partners.

Bewertung in zwei Schritten

Schritt 1 – Lösungsvorstellung Fokus Usability

Ein wesentlicher Aspekt, der zudem bei der Auswertung der ITSM-Lösung berücksichtigt werden muss, ist seine Benutzer:innenfreundlichkeit (Usability) – Stichwort: End User Experience.

In einem PreSales-Vorstellungstermin sollten für Endbenutzer:innen und IT-Mitarbeitende getrennt folgende Punkte geklärt werden:

  • Wie intuitiv ist der Aufbau und das Layout der Masken und die Bedienung für End-user?
  • Welche Funktionen bietet die Lösung, um die Oberfläche anzupassen?
  • Werden Programmierkenntnisse bei der Anpassung benötigt? Falls ja, welche?
  • Ist das End-user Interface auch für Nicht-IT-Mitarbeitende intuitiv zu bedienen?
  • Fühlt man sich als Endanwender:in bei der Prozessabwicklung wohl?

Schritt 2 – Proof of Concept

Ein Proof of Concept (POC) dient dazu, den gewonnen ersten Eindruck einer Lösung auf die Umsetzung des eigenen Implementierungskonzeptes zu überprüfen. Es soll validiert werden, ob es die Anforderungen in einer vom Auftraggeber zur Verfügung gestellten Umgebung umsetzen kann. Außerdem dient der POC dazu, den Kontakt zum Partner zu intensiveren.

Vor diesem Hintergrund sollten beide ausgewählten Partner den Auftrag erhalten, eine Demo-Umgebung bereitzustellen (ggf. bezahlt), in der mit den IT-Kolleg:innen ein realer Service oder Prozess der Organisation implementiert und umgesetzt wird. Hierfür sollte ein mehrtägiger Workshop eingeplant werden, den ein Mitarbeitende der internen IT aktiv begleiten sollte.

Ziel ist es, ein reales Bild der Aufwände und Usability bei der Administration zu erhalten (Prozessanpassungen/Aufbau neuer Prozesse/Non-IT Services).

Abb. 2.: Evaluierung der ITSM Plattform – Grafische Übersicht

Fazit: Eine Lösungsevaluierung erfordert viel Aufwand. Er lohnt sich aber, wenn dadurch am Ende eine gute flexible Lösung bereitsteht, die über viele Jahre einen Mehrwert erbringt. Alle mal mehr als eine günstige Evaluierung, die über viele Jahre nicht erfüllt was benötigt wird.

[1] Mit ”Hersteller” sind in diesem Beitrag keine privaten Personen, sondern rechtliche Personen bzw. Unternehmen gemeint

[2] Mit ”Partner” sind in diesem Beitrag keine privaten Personen, sondern rechtliche Personen bzw. Unternehmen gemeint