Die Information Technology Infrastructure Library (ITIL®) hat sich über die Jahre als Best-Practice-Leitfaden und Standard im Bereich IT Service Management (ITSM) etabliert. Seit Beginn der Entwicklung in den frühen 80er Jahren wurde ITIL immer weiter verbessert und ergänzt, weshalb viele Unternehmen ihre IT-Aufbau- und -Ablauforganisation basierend auf dem Framework aufbauen. Deshalb stellt sich die Frage, ob das altbekannte ITIL®-Framework aufgrund der Veränderungen und wechselnden Anforderungen in der IT noch immer dem Anspruch eines weltweit zum Standard gewordenen Leitfadens gerecht wird[1]. Kann das weniger bekannte und schlankere Framework FitSM mittlerweile mit ITIL® verglichen werden – welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede gibt es und ist FitSM vielleicht sogar in der Lage ITIL® zu ersetzen?
Definition und Entwicklung von FitSM
FitSM wurde Anfang der 2010er Jahre von der Europäischen Kommission entwickelt. Es konzentriert sich hauptsächlich auf den Kernbereich von ITSM, da sich ITIL® aufgrund des zu großen Umfangs, der damit einhergehenden geringeren Agilität und großen Komplexität zu weit vom Tagesgeschäft vieler Unternehmen entfernt hat[2]. Ein weiterer Antreiber dieses Projekts waren die betrieblichen Probleme der europäischen Forschungsinfrastrukturen bei der Vernetzung ihrer verschiedenen Einrichtungen. Aufgrund dieser Problematik entwickelte die Europäische Kommission Interesse daran, Service Management für Forschungsinfrastrukturen zu implementieren.
Der Name „FitSM“ ist ein Akronym und basiert auf dem Konzept einer föderierten Serviceerbringung, geleistet durch mehrere Serviceprovider. Das Wort „Fit“ steht in diesem Zusammenhang also für „Federated IT“. Darüber hinaus kann „Fit“ auch als “Passend” verstanden werden. Es ist also ein Service-Management-Rahmenwerk, das auch für kleine und mittelgroße Unternehmen geeignet ist[3][4][5]. Die Idee bei FitSM ist es daher, IT-Organisationen zu adressieren, die einen einfachen, geradlinigen, pragmatischen und frei verfügbaren Ansatz für ihr ITSM verfolgen. Deshalb nutzen vorrangig Unternehmen FitSM, die mit ihren IT Service Management noch am Anfang stehen.
FitSM als leichtgewichtiges Framework
FitSM steht für ein leichtgewichtiges IT Service Management, soll die Zusammenarbeit von unterschiedlichen Abteilungen innerhalb eines Unternehmens vereinfachen und ermöglicht zudem die Bestimmung des Reifegrades von Prozessen.[6]
“Leichtgewichtig” meint in diesem Zusammenhang, dass das Rahmenwerk dem Prinzip „Keep it simple“ folgt. Das ITSM soll auf die Anwendung von Kernprozessen und die Kernanforderungen beschränkt werden.[7] Aus diesem Grund liegt der Schwerpunkt von FitSM in der Beschreibung dessen, „was“ getan werden muss. Die praktische Umsetzung – also das „wie“ – wird nicht beschrieben, sondern in jedem Unternehmen individuell ausgearbeitet.[8]
Struktur von FitSM
Das FitSM-Framework ist in sieben Dokumente aufgeteilt, welche sich in vier Kerndokumente (FitSM-0 bis FitSM-3) und drei weiterführende Dokumente (FitSM-4 bis FitSM-6) untergliedern. Jedes dieser Dokumente adressiert einen eigenständigen Teilbereich. Im Gegensatz zu ITIL® liefert FitSM hierdurch einen praktischen Orientierungsansatz für den Einsatz relevanter IT-Service-Management-Prozesse, konzentriert sich auf operative Prozesse und vernachlässigt taktische und strategische Betrachtungen. [9]
FitSM-0 gibt einen allgemeinen Überblick über den Aufbau des Frameworks sowie Abhängigkeiten der Dokumente. Außerdem werden dort alle 75 Fachbegriffe, welche an ISO 20000 und ITIL® angelehnt sind, erläutert. Das nächste Dokument hingegen beschreibt die Anforderungen an ein funktionierendes ITSM und definiert Prozessanforderungen. Damit stellt es den Kern des FitSM-Kompendiums dar.[10] Auch die Leichtgewichtigkeit von FitSM wird an dieser Stelle aufgegriffen, denn dieser Standard besteht nur aus 85 Anforderungen, die ein IT Service Provider für ein effektives ITSM erfüllen sollte.[11] Zu diesen Forderungen zählt unter anderem, dass sich das Top-Management bei der Planung, Implementierung und dem Betrieb des Service-Management-Systems einbringt. Außerdem sollen der Geltungsbereich, die Ziele und Richtlinien für das Service-Management dokumentiert und kommuniziert werden. Die Dokumentationspflicht gilt darüber hinaus für die Prozesse an sich – einschließlich der Inputs, Aktivitäten, Outputs und Verantwortlichkeiten.[12]
Ebenso erläutert FitSM-2 Instrumente für eine Implementierung der Prozesse.[13] Es werden zudem Grundsätze und Aktivitäten empfohlen, die der Umsetzung der Anforderungen aus FitSM-1 dienen sollen.[14]
FitSM-3 hingegen liefert eine Rollenbeschreibung inklusive der entsprechenden Verantwortlichkeiten und Beziehungen.[15] Für jede Rolle werden ergänzend Definitionen typischer Aufgaben aufgeführt. Hierbei wird zwischen generischen und spezifischen Rollen unterschieden. Generische Rollen gibt es in allen Organisationen, die Services anbieten. Zu ihnen zählen Service-, Prozess- oder Case-Owner. Spezifische Rollen hingegen beschreiben diese generischen Rollen im Kontext eines bestimmten Service-Management-Prozesses.[16]
Weiterführende Dokumente
Das weiterführende Dokument FitSM -4 beschreibt beispielhafte Vorlagen, die dem Aufbau einer einheitlichen Organisation dienen sollen, während FitSM-5 einen Leitfaden beinhaltet, mit dessen Hilfe die Implementierung des ITSM und der Prozesse erleichtert werden kann. Bei FitSM-6 handelt es sich dann um ein auf Excel basierendes Werkzeug, mit dessen Hilfe der Reifegrad in verschiedenen Anforderungsbereiche bestimmt werden soll.[17]
Zusammengefasst bestehen die Anforderungen von FitSM aus diesen Punkten:[18]
- Verpflichtung und Verantwortung des Top Managements
- Dokumentation
- Anwendungsbereich und Stakeholder des IT Service Managements
- Planung des IT Service Managements
- Implementierung des IT Service Managements
- Monitoring und Verbesserung des IT Service Managements
- Stetige Verbesserung
Darüber hinaus besteht FitSM aus 14 Kernprozessen. Für jeden dieser Prozesse sind Prozessziele, Aktivitäten für das Einrichten des Prozesses, Prozess-Inputs und Aktionen während der laufenden Prozessdurchführung und Prozess-Outputs beschrieben.
Jüngste geschichtliche Entwicklung von ITIL®
In IT-Betriebsorganisationen hat ITIL® in den vergangenen 20 Jahren einen nicht wegzudenkenden Beitrag dafür geleitstet, Transparenz und Strukturen in IT-Organisationen zu schaffen. Im Zuge dessen absolvierten viele Beschäftigte Schulungen und Zertifizierungen, mit deren Hilfe die Service- und Kundenorientierung in den Unternehmen vorangetrieben werden sollte. So wurden wichtige Verantwortlichkeiten mit Hilfe des ITIL®-Frameworks definiert und prozessorientiert organisiert.[19]
Nach einem Verkauf von ITIL® liegt der Fokus des Frameworks nun allerdings nicht mehr auf der kostenintensiven Weiterentwicklung, sondern auf der Gewinnabschöpfung. Gleichzeitig sank die Anzahl an Prüfungsinstituten von sieben auf lediglich eins, wodurch der Einfluss des Marktes stark abnahm. Nach einem weiteren Verkauf befindet sich das ITIL®-Framework nun in den Händen des einzig verbliebenen Prüfungsinstituts PeopleCert, einem auf das Zertifizierungsgeschäft ausgerichteten Unternehmen.
Mit ITIL®4 sollte ein Ansatz gefunden werden, das IT Service Management auf die sich entwickelnden agilen Arbeitsweisen, Cloud-Technologien und künstliche Intelligenz auszurichten. Dies hat zu einer systematischeren Betrachtung des Service Managements geführt und die klassischen Prozesse des Alltags vieler Unternehmen in den Hintergrund gestellt. Aufgaben und Zusammenwirken von Incident, Problem, Configuration und Change-Management sind hierbei nicht mehr Teil des ITIL®-Foundation-Trainings.[20]
ITIL® und FitSM im Vergleich
ITIL® wurde über viele Jahre hinweg entwickelt und stellt Best Practices bereit, die im Laufe der Zeit erweitert, verfeinert und ausformuliert wurden. FitSM hingegen ist einfach aufgebaut und verfolgt vorrangig das Ziel des einfachen Verständnisses. Es hat auch im Gegensatz zu ITIL® nicht den Anspruch eines Best-Practice-Frameworks, sondern stellt die Beschreibung der zu erreichenden Anforderungen in den Vordergrund. So kann es für kleinere und mittlere IT-Organisationen als eine leicht zu realisierende und kostenlose Basislösung für den Einstieg in das Thema ITSM verstanden werden.[21]Steht in einem Unternehmen die Entscheidung an, ob entweder ITIL® oder FitSM eingeführt werden soll, ist in der Regel bei weniger als 50 IT-Mitarbeitern eher FitSM als ITIL® für das Unternehmen geeignet. Generell empfiehlt es sich jedoch, ITIL® und FitSM zu vergleichen. Unternehmen, die sich mit
FitSM befasst haben, können sich ebenfalls mit ITIL® oder ISO 20000 befassen. Die Erfahrung vieler Unternehmen, die ihre Beschäftigten zu ITIL®-Schulungen geschickt haben, zeigt jedoch, dass hieraus keine konkreten Handlungsempfehlungen für Unternehmen abgeleitet werden konnten. Der Vorteil bei FitSM besteht hingegen darin, dass es schlank und anforderungsgetrieben ist und zudem klare Handlungsempfehlungen an die Hand gibt. Im FitSM-Standard kommen die Begriffe „ISO 20000“, „ITIL®“ und „COBIT“ nicht vor, werden aber im Schulungsprogramm berücksichtigt, um FitSM in ihren Kontext einzuordnen.[22] In zahlreichen Studien hat sich herausgestellt, dass nur in wenigen Unternehmen die restlichen Prozesse beziehungsweise Practices (ITIL®4) etabliert und umgesetzt wurden.[23] FitSM kann also als Alternative zu ITIL® betrachtet werden, wenn das IT Service Management in der Praxis Anwendung finden soll. ITIL® hingegen ist eher dazu geeignet, die gesamte Komplexität großer Unternehmen abzubilden.[24]
Rechtliches
Alle Unterlagen, die entwickelt wurden und noch in Zukunft entstehen werden, unterliegen einer Creative-Commons-Lizenz. Sie sind also kostenlos verfügbar und erlauben eine Anpassung an die eigenen Bedürfnisse des Unternehmens. Eine kommerzielle Nutzung ist jedoch nicht explizit ausgeschlossen.[25]
Verbreitung von FitSM im Vergleich zu ITIL®
Bisher arbeiten hauptsächlich die Organisationen, die an der Planung von FitSM beteiligt waren, mit dem Framework. Außerhalb dieses EU-Projektes steht die Entwicklung des Frameworks im Vergleich zu ITIL® noch am Anfang. FitSM bewegt sich insgesamt jedoch eher im akademischen Bereich und wird im universitären Umfeld genutzt. Dennoch gibt es Organisationen, die nach FitSM arbeiten oder FitSM implementiert haben.[26/27]
Fazit
FitSM hat das Potenzial, von IT-Organisationen und Service-Managern als Ergänzung und stellenweise als Alternative zu ITIL® zu fungieren. Fraglich bleibt, ob FitSM in Zukunft über die Forschungsinfrastruktur hinaus Akzeptanz und Popularität auf dem breiten Markt erhalten wird. Die Marktmacht von ITIL® ist derzeit jedoch zu groß, als dass FitSM auf gleicher Augenhöhe konkurrieren könnte.[28]Letztlich geht es nicht darum, welches Framework besser oder schlechter ist. Es geht darum, welches Framework den täglichen Aufgaben von IT-Abteilungen am besten gerecht wird. Sowohl ITIL® als auch FitSM behaupten von sich selbst, dass ihr Framework in großen und kleinen Unternehmen angewendet werden kann. In der Praxis lässt sich jedoch feststellen, dass ITIL® häufig zu komplex für kleinere Unternehmen und FitSM nicht umfangreich genug für größere Unternehmen ist.
Mit FitSM können Unternehmen nichtsdestoweniger ihr bestehendes IT Service Management aufgrund der Fokussierung auf operative Prozesse effizient und optimal gestalten.[29]
CO-Autor: Amir Salihi
[1] Vgl. Brendel (2021), S. 48
[2] Vgl. Brendel (2021), S. 48
[3] Vgl. different-thinking (2022)
[4] Vgl. different-thinking (2022)
[5] Vgl. different-thinking (2022)
[6] Vgl. BFMT (2022)
[7] Vgl. different-thinking (2022)
[8] Vgl. Rohrer/Söllner (2017). S. 1
[9] Vgl. Biermann (2020)
[10] Vgl. Biermann (2020)
[11] Vgl. Biermann (2020)
[12] Vgl. YaSM® (2021b)
[13] Vgl. Biermann (2020)
[14] Vgl. BFMT (2022)
[15] Vgl. Biermann (2020)
[16] Vgl. YaSM® (2021b)
[17] Vgl. BFMT (2022)
[18] Vgl. Brendel (2021), S. 48
[19] Vgl. Andenmatten (2021)
[20] Vgl. Andenmatten (2021)
[21] Vgl. Rohrer/Söllner (2017). S. 6
[22] Vgl. different-thinking (2022)
[23] Vgl. Brendel (2021), S. 49
[24] Vgl. Brendel (2021), S. 49
[25] Vgl. different-thinking (2022)
[26] Vgl. different-thinking (2022)
[27] Vgl. FitSM (2019)
[28] Vgl. different-thinking (2022)
[29] Vgl. Biermann (2020)
Literatur- und Quellenverzeichnis
Andenmatten, Martin (2021): ITIL® ODER FITSM? NICHT BLOSS EINE FRAGE DES KOMMERZ!, URL:
https://blog.itil.org/2021/11/itil-oder-fitsm-nicht-bloss-eine-frage-des-kommerz/#comments, zugegriffen: 07.03.2022
Biermann, Ingo (2020): FitSM ist ein schlankes Framework für das IT-Service-Management und erhält
zunehmend Einzug in zahlreiche Organisationen, vor allem aber in kleine und mittlere Unternehmen, URL: https://mindsquare.de/knowhow/fitsm/, zugegriffen: 07.03.2022
BFMT (2022): Was ist FitSM?, URL: https://www.isae3402-audit.de/audits/fitsm, zugegriffen:
08.03.2022
Brendel, Stephan (2021): Eine Alternative zu ITIL®, In: it Service Management – Fachzeitschrift für die
ITSM-Community, Nr. 58, „Zertifizierung & Service Management“, Dezember 2021, S. 48-49
different-thinking (2022): ITMP022: FitSM – leichtgewichtiges Service-Management, URL:
https://different-thinking.de/itmp022-fitsm/, zugegriffen: 08.03.2022
FitSM (2019): INFORMATION & SUCCESS STORIES, URL: https://www.fitsm.eu/information-success-stories/, zugegriffen: 08.03.2022
Rohrer, Anselm/Söllner, Dierk (2017): IT-Service Management mit FitSM – Ein praxisorientiertes und
leichtgewichtiges Framework für die IT
YaSM® (2021a): FitSM, URL: https://yasm.com/wiki/de/index.php/FitSM, zugegriffen: 07.03.2022
YaSM® (2021b): FitSM, URL: https://yasm.com/wiki/de/index.php/FitSM_und_YaSM, zugegriffen:
07.03.2022