Wo Scrum und ITIL sich treffen in 4 Teilen – Teil 4: High-velocity IT

Im Zuge der ersten drei Artikel der Serie “Wo Scrum und ITIL sich treffen” wurden Aspekte der ITIL-Module “Drive Stakeholder Value”, “Create, Deliver and Support” und „Direct, Plan and Improve“ in einen Kontext mit dem Scrum-Framework gestellt, sodass trotz der unterschiedlichen Blickwinkel Gemeinsamkeiten der beiden Rahmenwerke herausgearbeitet werden konnten.

Dieser letzte Teil der Serie stellt mit “High-velocity IT” das abschließende Modul der „Managing Professional“-Zertifizierung in den Mittelpunkt. Betrachtet werden unter anderem die in dem Modul vorgestellten Charakteristika und Zielsetzungen. Ebenso wie in den vorherigen Beiträgen wird ein Vergleich mit der möglichen bzw. enthaltenen Umsetzung dieser Eigenschaften in Scrum angestellt. Darüber hinaus beleuchtet der Artikel die sozialen bzw. kulturellen Aspekte und letztlich auch die Techniken, welche in diesem ITIL-Modul hervorgehoben werden, sowie deren Integration in Scrum. Dabei wird aus der Thematik “Scrum” wieder besonders die Korrelation im Entwicklungskontext hervorgehoben. Andere Punkte, z.B. das “Organisational Change Management”, werden hier nicht bzw. nicht tiefgehend betrachtet.

Charakteristiken und Zielsetzungen

Die Notwendigkeit von High-velocity IT ergibt sich aus dem Kontext der jeweiligen Unternehmen, Organisationen oder auch Systeme heraus und ist nicht in jeder Situation zu empfehlen. Sinnvoll ist eine High-velocity IT dort, wo Zeit mitunter ein kritischer Faktor ist und entsprechende Techniken praktikabel zum Einsatz kommen können.

Die high-level Ziele hinter dem Vorsatz eine High-velocity IT zu nutzen, werden in dem Modul beschrieben als:

  • Mehrwertige Investition (Valueable Investment)
  • Schnelle Entwicklung (Fast development)
  • Robuster Betrieb (Resilient operations)
  • Kooperative Werterbringung (Co-created value)
  • Sicherstellung Einhaltung regulatorischer Anforderungen (Assured conformance)

Diese Ziele passen zum Teil gut und direkt in den Scrum-Kontext, partiell fügen sie sich dort allerdings lediglich indirekt oder fast gar nicht ein.

Ein wichtiger Punkt im ITIL-Framework, das “valueable investment”, findet keinerlei Berücksichtigung im Entwicklungszyklus des Scrum-Frameworks. Wie im vorangegangenen Artikel „Wo Scrum und ITIL sich treffen in 4 Teilen – Teil 3 Direct, Plan and Improve“ bereits erwähnt wurde, sind finanzielle Aspekte auch in Scrum wichtig. Sie finden daher notwendigerweise im Vorfeld statt, aber sind nicht Teil von Scrum selbst.

Die beiden Punkte “fast development” und “co-created value” sind wiederum direkte Ziele, die sich auch in Scrum widerspiegeln. Sie werden zum einen durch die stetigen Sprint-Iterationen mit neuen Produktversionen, zum anderen aber auch durch die Zusammenarbeit innerhalb des Teams und die Kooperation mit den Stakeholdern aufgegriffen. “Assured conformance” hingegen ist ein Vorhaben, das sich in Scrum eher indirekt darstellt, da es je nach Anforderung, unter anderem in den User Storys mit enthalten sein kann.

Das ausstehende Ziel “resilient operation” stellt den Betriebskontext in den Fokus und ist somit nicht direkt in Scrum enthalten. Im Entwicklungsprozess kann es jedoch trotzdem eingearbeitet werden, sofern es in den Anforderungen richtig beschrieben ist.

Um diesen Zielen gerecht zu werden, hat ITIL für das Erreichen einer High-velocity IT wesentliche Charakteristika bestimmt.

Abbildung 1: Freie Darstellung Charakteristika einer High-velocity IT

Die Charakteristika der High-velocity IT stehen in ITIL nicht unabhängig für sich, sondern müssen zusammenwirken, um ihren Synergieeffekt entwickeln zu können. Für sich ist ihre jeweilige Bedeutung eindeutig und jedem verständlich. Zusammen sind sie aber mehr als die Summe ihrer Teile und jedes einzelne ist wesentlich, sodass High-velocity IT immer im Sinne aller Charakteristika gelebt werden muss.

Soziales und Kultur

Im Bereich der High-velocity IT spielen neben den Zielen und den Charakteristika auch das passende Mindset und eine dazugehörige IT-Kultur eine entscheidende Rolle. Im Scrum-Guide wird dies im Besonderen durch die behandelten „Scrum values“ behandelt.

Wenn man beide Frameworks zu Rate zieht, werden die Scrum values durch die „Key behaviour patterns“ aus ITIL ergänzt. Hierzu muss aber auch hervorgehoben werden, dass diese Verhaltensmuster auf die gesamte IT-Kultur einer Organisation abzielen, um High-velocity IT zu ermöglichen und zu fördern. Jedes einzelne Element für sich ist nicht originär und auch in anderen Kontexten zu finden. Deshalb müssen die Bestandteile jederzeit zusammen betrachtet werden.

Abbildung 2: Freie Darstellung der Key behaviour patterns ITIL4

Die in den Key behaviour patterns enthaltenen wesentlichen Punkte, sind in sich selbsterklärend und sprechen alle den menschlichen Faktor an. Gerade deshalb ist es hier weniger wichtig eine Grenze zum eigentlichen Scrum-Kontext zu ziehen. Denn in einer Kultur in der „Vertrauen geschenkt wird und einem vertraut wird“ , endet Vertrauen nicht an einer Rahmenwerkgrenze.

Eben diese ITIL-Verhaltensweisen können zudem bei der Etablierung und auch der Anwendung von Scrum helfen.

Integration von Techniken

Die im ITIL-Modul vorkommenden Techniken sind zahlreich, weshalb sich dieser Beitrag auf drei Methoden fokussiert. Die Techniken selbst orientieren sich an den Zielen der High-velocity IT. Als erstes Beispiel für die gute Kompatibilität zum Scrum-Framework lässt sich die Vorgehensweise „Minimum viable products and services“ anführen. An sich basiert sie zwar auf dem Ziel “valueable investment”, aber der Anspruch an ein Produkt bzw. Service könnte ebenso leicht aus dem „valuable increment“, dem Ergebnis eines Sprints, stammen. Es ist ein für sich stehendes, für den Kunden nutzbares Ergebnis, auf dessen Basis Feedback gegeben wird und welches zur Weiterentwicklung bereitsteht.

Die “Retrospective” selbst gilt als Technik für sich und ist ein wichtiger Bestandteil, auf der Scrum mitunter beruht. Als Feedbackwerkzeug unterstützt es die stetige und schnelle Verbesserung und fließt ebenso in andere Techniken mit ein. In ITIL findet die Retrospektive ebenso Erwähnung bzw. Verhaltensweisen, welche bedingt der Retrospektive entsprechen. Als Beispiel ist hier die Verwendung im Kontext der Wahl eines möglichen Entwicklungsansatzes oder im Sinne des erwähnten Bestrebens zur kontinuierlichen Verbesserung zu erwähnen.

Die letzte vorgestellte Technik findet bereits oft im Scrum-Kontext Verwendung, ist dort aber nicht verpflichtend. Es geht um das „Kanban board“. Dabei handelt es sich um eine visuelle Methode zur Gliederung von Arbeit, einzelnen Aufgaben oder auch User Storys und Epics. Durch die visuelle Komponente unterstützt es Transparenz, sodass dem Team immer bewusst ist, wie viele Aufgaben in der aktuellen Iteration noch zu erledigen sind.

Fazit und Schlusswort

Zum Schluss dieser vierteiligen Reihe, lässt sich feststellen, dass Scrum und ITIL in zahlreichen Punkten kompatibel sind und es einige Schnittmengen gibt. Gerade bei Themen, die nicht mehr im Standard Scrum-Kontext aufgeführt sind, kann ITIL eine ergänzende Rolle spielen. Allein bei der Betrachtung der hier zuletzt geschilderten Techniken ist wahrzunehmen, dass beide Rahmenwerke einen ähnlichen Weg verfolgen. Bei einer detaillierteren Analyse der Frameworks lassen sich sicherlich noch weitere Gemeinsamkeiten finden, denn diese Serie bietet nur einen kleinen Einblick.

Ebenso lässt sich eine bestimmte Ähnlichkeit in Bezug auf Charakteristika, Ziele, Werte oder auch ein gewisses Mindset nicht verneinen. Bezugnehmend auf den Titel kann gesagt werden, dass sich ITIL und Scrum an vielerlei Orten treffen. Sie können nicht gleich, aber dennoch sich gut ergänzende Partner sein.

Ich möchte mich bedanken bei allen, die dieser Reihe gefolgt sind und hoffe, dass jeder etwas für sich daraus mitnehmen konnte.